,Tour de France Femmes nicht nur sportlich ein Meilenstein, auch medial'
,Tour de France Femmes nicht nur sportlich ein Meilenstein, auch medial'
ExklusivSelina Knaul (26) ist erst vor zwei Jahren zum Radsport gekommen, fährt bei den Wheel Divas Berlin in der Bundesliga und setzt sich für mehr Gleichberechtigung für Frauen ein. Denn trotz positiver Veränderungen sieht sie in ihrer neuen sportlichen Heimat noch viel Entwicklungspotenzial.
Erstmals seit 2009 soll es im kommenden Jahr wieder eine Tour de France für Frauen geben. Das wurde Mitte Oktober nun endgültig bekanntgegeben, nachdem es schon in den vergangenen Monaten immer wieder Gespräche dazu gegeben hat. Ab dem Eifelturm in Paris am Tag des Finales der Männer (24. Juli) starten die Frauen zu acht Etappen. Insgesamt 1.029 Kilometer auf einem anspruchsvollen Kurs, der den Frauenradsport mehr ins Rampenlicht rücken soll.
Kampf um Gleichberechtigung kostet Zeit und Energie
Eine, die sich für mehr Sichtbarkeit in diesem Jahr ebenfalls schon eingesetzt hat, ist Selina Knaul. Die Bundesliga-Fahrerin der Wheel Divas Berlin findet es schade, dass sich der Frauensport scheinbar immer erst den Weg selbst frei boxen müsse. Dieser ständige Kampf um Gleichberechtigung raube kostbare Energie und Zeit, die viel besser in den Ausbau der sportlichen Leistungsfähigkeit investiert wäre. Sie sagt über die Neuauflage der „Tour de France Femmes“: Ich bin mir sicher, dass durch den erhöhten Professionalisierungsgrad im Frauen-Radsport die Teams bei der ersten Tour-Ausgabe 2022 einen spannenden Wettkampf leisten werden. Die Tour de France Femmes ist nicht nur sportlich ein Meilenstein, sondern könnte auch medial eine große Wirkung auf die weitere Entwicklung haben. Daher hoffe ich, dass viele Interessierte das Event verfolgen und junge Fahrerinnen im Nachwuchs für diese Sportart begeistert werden können.“
Die Tour de France Femmes ist nicht nur sportlich ein Meilenstein, sondern könnte auch medial eine große Wirkung auf die weitere Entwicklung haben.
Mit insgesamt 727 Kilometern trat Knaul bei der Plan International Charity-Tour im Rahmen der Deutschland Tour 2021 ebenfalls für mehr Gleichberechtigung in die Pedale. Beim einzigen deutschen Etappenrennen der Männer-Elite fahren normalerweise keine Frauen mit. Für sie gibt es stattdessen die jährliche LOTTO Thüringen Rundfahrt im Frühjahr. „Die ist aber so anspruchsvoll, dass viele deutsche Bundesliga-Teams dort gar nicht mithalten können und vor allem Profis aus anderen Ländern mitfahren“, sagt Knaul. Sie wünscht sich, dass auch den deutschen Fahrerinnen im eigenen Land mehr Eintagesrennen und Rundfahrten nur für Frauen geboten werden. Bei der Deutschland Tour hat sie die Bühne genutzt und zusätzlich noch 3.350 Euro für ein Plan-Projekt in Tansania gegen Kinderarbeit gesammelt.
30 Stunden Arbeit trotz Profisport
Als einzige Frau fuhr Selina Knaul alle Etappen der Tour mit und hat dafür von ihren männlichen Kollegen anerkennende Worte bekommen. Vor allem, weil sie sich bei regnerischem Wetter mit einer Erkältung durch die Etappen quälte. „Sie haben mich auch gefragt, wie ich den Profi-Radsport und Arbeit gemeinsam stemme“, erzählt Knaul, die neben 20 Stunden Training noch 30 Stunden pro Woche als Vereinssportlehrerin im Reha-Bereich arbeitet. „Im Radsport muss man gerade als Frau noch Geld investieren, statt welches zu verdienen. Zwar bekomme ich auch Unterstützung durch mein Team, aber durch Corona sind einige Startgelder teurer geworden und Sponsoren weggebrochen.“ Daher muss die 26-Jährige neben dem Radsport arbeiten, um ihre Liebe zum Leistungssport ausleben zu können.
Knaul im Trikot der Wheel Divas Berlin. Foto: Wheel Divas
Die studierte Sportmanagerin sieht vor allem außerhalb Deutschlands große Schritte in Sachen Professionalisierung. „Auf europäischer Ebene gibt es einige Teams, die immer mehr Frauen aufnehmen und bei denen sie beinahe mit den Männern auf einem Niveau stehen was die Sportbedingungen angeht.“ Teams wie Jumbo-Visma in den Niederlanden, bei dem etwa die deutsche Fahrerin Romy Kasper fährt.
Vom Fußball in den Fahrradsattel
Vom deutschen Verband sieht sich Knaul manchmal im Stich gelassen. Als Quereinsteigerin hatte sie keine Chance auf eine Förderung. Nach 17 Jahren im Fußball, unter anderem beim TuS Wörrstadt und zuletzt bei RB Leipzig in der Regionalliga, stieg Knaul nach mehreren Knie-Verletzungen vor zwei Jahren aufs Fahrrad um. Ausgerechnet, als Corona den gesamten Profi-Sport lahmlegte oder zumindest stark beeinträchtigte. „Die ersten Wettkämpfe und Bundesligarennen bin ich via Zwift auf der Rolle gefahren“, erzählt die Wahl-Leipzigerin. In diesem Jahr wurde sie auch noch von einem Sturz ausgebremst und konnte dadurch sowie durch ihren Teilzeit-Job nicht so viele Kilometer trainieren, wie sie sich gewünscht hätte.
30.000 Kilometer im Jahr sollte ich fahren, um auf Top-Niveau zu sein. Ich bin bei 16.000 Kilometern, das zeigt mir, was möglich wäre, wenn ich weniger arbeiten müsste.
Trotz aller Herausforderungen: Für die neue Saison ab Frühjahr 2022 hat sich die 26-Jährige vorgenommen, in der Bundesliga ins Mittelfeld zu fahren und dort den Anschluss zu halten. Die „Tour de France Femmes“ wird sie mit ihrem Team vom Bildschirm aus verfolgen und den deutschen Fahrerinnen die Daumen drücken.
Weitere Infos über die Wheel Divas unter www.wheeldivas.com und über den sportlichen Weg von Selina Knaul auf Instagram: @Cyclina95
Erschienen in Radsport am 29. Oktober 2021
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