Basketball

Inklusion pur: Nathalie Ebertz über ihren Weg zum und im Rollstuhlbasketball

ExklusivVon der Fußgängerin zur Rollstuhlbasketballerin: Nathalie Ebertz (30) musste vor einigen Jahren ihre Karrierepläne verändern, nachdem sie sich den Knöchel gebrochen hat. Ihre Träume hat sie aber nie aufgegeben. Das nächste Ziel ist eine Medaille bei den Paralympics in Tokio.

Eine besonders inklusive Sportart – wie kann sie aussehen? Wenn Männer und Frauen gemeinsam spielen, Menschen mit Behinderung und ohne. Im Rollstuhlbasketball ist das der Fall. In der Bundesliga spielen zehn Mannschaften, in jedem Team findet sich mindestens eine Frau und im Schnitt spielen auch etwa zwei Spieler:innen komplett ohne Behinderung mit. Die Fußgänger:innen, wie man sie hier nennt.

Ein gebrochener Knöchel verändert alles

Nathalie Ebertz kennt beide Seiten, die mit und ohne Behinderung. Die 30-Jährige spielt seit drei Jahren bei den Doneck Dolphins Trier in der Deutschen Rollstuhlbasketball-Bundesliga. 2017 hat sie sich den linken Knöchel gebrochen und musste mehrmals operiert werden. „Das ist ganz doof gelaufen. Als ich bei Bayern München in der Bundesliga Basketball gespielt habe, bin ich bei einem Gaudi-Spiel blöd auf dem Fuß gelandet. Zwar bin ich zwei Tage später mit getapetem Fuß noch das Ski-Examen in der Uni mitgefahren – aber danach musste ich operiert werden.“

Der Knöchel wurde nie wieder richtig gut. Und die Basketball-Karriere schien vorbei. Bis Nathalie in der Halle in München, noch mit Gipsbein, eine Rollstuhlbasketball-Mannschaft traf, die sie zum Training eingeladen hat.

„Wir haben im Basketball nie darüber gesprochen, welche Möglichkeiten wir haben, sollten wir uns schlimm verletzen. Daher wusste ich gar nicht, wie das beim Rollstuhlbasketball läuft.“

Das erste Training hatte es ihr direkt angetan. Zwar sitzt Nathalie nicht ständig im Rollstuhl – während unseres Interviews stand sie gerade auf dem Golfplatz – doch im Rollstuhlbasketball darf jeder mitmachen. Wenn die Punkte innerhalb des Teams passen. Die Spieler:innen erhalten je nach Schwere der Behinderung Punkte von 1 bis 4,5. Nathalie hat 4,5, weil ihre Behinderung als minimal angesehen wird. Während eines Spiels dürfen pro Mannschaft nur insgesamt 14,5 Punkte auf dem Feld sein – ob Männer oder Frauen spielt da keine Rolle. „Bei uns sind immer zwei Frauen auf dem Feld und wir haben unser Spielsystem auch darauf ausgelegt“, erzählt Nathalie.

Gemeinsam mit Männern im Profi-Sport

Schon früher mit ihrem Bruder hat Nathalie häufig bei Mixed-Turnieren Fußgänger-Basketball gespielt. Nun mit Männern gemeinsam professionellen Sport zu betreiben, findet die Berufsschullehrerin super. „Klar, Männer spielen auch bei uns körperlicher und härter. Die hauen einen schon mal aus dem Stuhl und da gibt es dann auch keine Entschuldigung. Das gehört dazu und keiner jammert. Das finde ich cool.“ Die Stühle im Rollstuhlbasketball sind natürlich andere, als man sie auf der Straße sieht. Sie haben eine andere Form, kippen nicht so leicht und sind wendiger. Schließlich erfordert der Sport schnelle Reaktionen.

IMG_1191.jpg Im Rollstuhlbasketball spielen Männer und Frauen gemeinsam. Foto: Emilie Haag

Was Fußgänger in den Beinen haben, brauchen Nathalie und ihre Mitspieler:innen in Armen und Oberkörper. „Das war am Anfang eine krasse Umstellung“, erinnert sich Nathalie an ihre ersten Trainingseinheiten zurück. Wie gut sie mittlerweile trainiert ist, merkt sie vor allem an den Jacken. Die sitzen an den Armen ziemlich eng.

Mit der Vergangenheit abgeschlossen

Wenn Nathalie vom Rollstuhlbasketball erzählt, klingt es, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Dabei sah ihr Leben vor nur vier Jahren noch ganz anders aus. Sie studierte Sport, spielte unter anderem bei den heutigen XCYDE Angels in der DBBL und träumte von Medaillen mit der Nationalmannschaft. Letzteres tut Nathalie noch heute – nur anders. Mit der Rollstuhlbasketball-Nationalmannschaft der Frauen will sie bei den Paralympics 2021 in Tokio eine Medaille holen. „Wir Damen sind so gut, das ist drin“, sagt sie. Über die Träume vor dieser Zeit kann die 30-Jährige heute gut sprechen. Mit der Vergangenheit und dem „was wäre, wenn“ hat sie abgeschlossen. „Auch wenn ich damals dachte, mein Leben sei vorbei. Ich spiele Basketball, seit ich zehn Jahre alt bin, und wollte nie etwas anderes.“ Sie sagt heute sogar, dass sie alles genau so wieder machen würde, auch wenn sie wüsste, wie es ausgeht.

„Wir Damen sind so gut, das ist drin.“ Nathalie Ebertz über die Medaillenchancen bei den Paralympics

Nur jetzt im Lockdown kann Nathalie ihrer großen Leidenschaft nicht so richtig nachgehen. Mit ihrem Team aus Trier hat sie sich entschieden, zunächst keine Spiele mehr zu bestreiten. Auch wenn die Bundesliga weitergeht. „Das können wir gesellschaftlich nicht verantworten. Wir sind auch alle Arbeitnehmer und wollen unsere Jobs nicht aufs Spiel setzen und andere Leute gefährden.“ Die Hinrunde haben die Dolphins beinahe komplett gespielt. Die Spiele der Rückrunde sollen, wenn möglich, nachgeholt werden. Aber da es keinen Absteiger der Liga geben wird, können die Dolphins entspannt auf die nächste Saison blicken.

Blick auf Paralympics 2021 in Tokio

Um sich fitzuhalten, trainiert Nathalie mit ihrem Mann und Mannschaftskollegen Dirk Passiwan allein in der Halle oder beim EMS. Nur wofür genau sie trainieren, weiß Nathalie derzeit nicht. Im Januar hätte entschieden werden sollen, wer final im Paralympics-Kader steht. Doch das Selection Camp findet erst einmal nicht statt. Und ob die Spiele in Tokio stattfinden, weiß derzeit niemand. Aber die 30-Jährige blickt positiv in die Zukunft. Schließlich hat sie schon ganz andere Schwierigkeiten gemeistert und lässt sich nicht so leicht aus der Bahn werfen. Oder vielmehr: aus dem Rollstuhl.

Erschienen in Basketball, Para Sport am 27. Januar 2021

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