Leichtathletik
Paralympics-Star Verena Bentele: ,Tut weh, wenn die Spiele nur mit Kommerz in Verbindung gebracht werden'
Paralympics-Star Verena Bentele: ,Tut weh, wenn die Spiele nur mit Kommerz in Verbindung gebracht werden'
Im Interview mit der Deutschen Sporthilfe ordnet Verena Bentele, zwölffache Paralympics-Siegerin und Mitglied der „Hall of Fame des deutschen Sports“, die Bedeutung der Paralympics vor dem Hintergrund des Kriegsgeschehens in der Ukraine ein.
Im Interview äußert die DOSB-Vizepräsidentin Verenta Bentele ihre Erwartungen an das deutsche Team in Peking und bezieht Stellung zu einer möglichen deutschen Bewerbung um die Austragung von Olympischen und Paralympischen Spielen.
Deutsche Sporthilfe: Heute beginnen die Paralympischen Spiele in Peking. Welche Bedeutung können sie angesichts der Lage in der Ukraine haben?
Verena Bentele: Der Krieg in der Ukraine macht es den Sportlerinnen und Sportler gerade sicher nicht leicht, sich auf ihren Sport zu konzentrieren. Wie wir alle sind auch sie mit ihren Gedanken bei den Menschen in der Ukraine, deren Situation einfach nur furchtbar ist.
Wie viel Vorfreude verspürst Du angesichts dieser Umstände auf die Paralympics?
Die Vorzeichen waren bereits vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine nicht ideal – Menschenrechtsverletzungen im Gastgeberland China, fehlende Nachhaltigkeit, Gigantismus beim Bau der Wettkampfstätten, die starken Einschränkungen aufgrund der Corona-Lage und fehlende Zuschauer. Das alles hat den Funken bei den Olympischen Spielen nicht so richtig überspringen lassen. Dennoch haben wir großartige Leistungen gesehen, und ich habe mit unseren deutschen Athleten mitgefiebert. So wird es mir auch bei den Paralympics gehen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie aufgeregt die Athleten jetzt sind und werde sie, so gut es eben geht, von zuhause aus unterstützen.
In der Vergangenheit war immer mal wieder die Rede von Nachwuchsproblemen im deutschen Behindertensport. In Peking sind elf Teammitglieder 22 Jahre oder jünger, 14 feiern ihre paralympische Premiere.
Es ist sehr gut, dass jetzt junge Athleten nachkommen, wobei die älteren mit ihren Erfahrungen auch ungemein wertvoll sind. Wichtig ist, dass die Trainer ihre Arbeit in Zukunft weiter fortsetzen und viele junge Menschen für den paralympischen Sport begeistern.
Wie steht der deutsche Behindertensport insgesamt aktuell da?
Der Leistungssport ist bislang ganz ordentlich durch die schwere Pandemiezeit gekommen, aber der Breiten-, Gesundheits- und Rehasport hat doch sehr gelitten. Als Sportlerin weiß ich, wie wichtig tägliche Bewegung für das körperliche und seelische Wohlbefinden ist – und für Menschen mit Behinderung, die noch einmal mehr auf Begleitung oder Unterstützung angewiesen sind, waren die vergangenen Monate eine extreme Herausforderung. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.
Blicken wir auf das Gastgeberland China, das sich im olympischen Medaillenranking auf Platz drei nach oben katapultiert hat, nachdem es in der Vergangenheit bei Winterspielen unter ferner Liefen rangierte. Erwartest Du im Para-Wintersport eine ähnliche Steigerung?
Das chinesische Para-Wintersport-Team ist bislang noch nicht wirklich in Erscheinung getreten. Ich wage zwar vorauszusagen, dass es mehr wird als die bisherige eine Medaille, aber ich erwarte hier keine Erfolgssteigerung wie bei den Olympischen Spielen. Auch wenn ich annehme, dass die Chinesen viel Geld investiert haben.
Sind die Spiele trotz aller Kritik an der Vergabe nach China dennoch eine Chance für den paralympischen Sport im Reich der Mitte?
In der heutigen Zeit muss es überall so viel mehr um Nachhaltigkeit gehen – allein beim Bau und der weiteren Nutzung der Wettkampfstätten. Was den Bezug auf Menschen mit Behinderung anbelangt, würde ich mir natürlich eine nachhaltige Wirkung wünschen. Aber ehrlich gesagt erwarte ich nicht allzu viel, denn wir haben die Erfahrung von den Sommerspielen in Peking 2008, die keine langfristige Veränderung mit sich brachten.
Der DOSB hat die Olympischen Spiele dazu genutzt, Sondierungsgespräche hinsichtlich einer deutschen Olympia- und Paralympics-Bewerbung zu führen. Sollte es dazu kommen, wären das die ersten Paralympics in Deutschland.
Ich werde die Bemühungen, Olympische und Paralympische Spiele nach Deutschland zu holen, aus vollem Herzen unterstützen. Als Sportlerin tut es mir weh, wenn die Spiele in der Öffentlichkeit nur mit Kommerz und Restriktionen in Verbindung gebracht werden. Ich will auch in meiner Funktion als DOSB-Vizepräsidentin dazu beitragen, das Thema wieder positiv zu besetzen, denn die Spiele haben so viele positive Attribute. Deutschland hat bereits vor 50 Jahren in München gezeigt, wie die Spiele nachhaltig sein können. Ich selbst habe zum Beispiel als Studentin im früheren Olympischen Dorf gewohnt und auch die Sportstätten dort nutzen können.
Wünschst Du Dir eher Sommer- oder Winterspiele in Deutschland?
Ich bin bei beiden Optionen voll dabei. Aber ich schätze, dass wir für Winterspiele bessere Chancen haben, weil es in Deutschland bereits viele geeignete Anlagen gibt, von Bob- und Rodelbahnen, Skisprungschanzen, Langlaufstadien und alpinen Skigebieten. Ich freue mich sehr darauf, daran mitzuarbeiten, mit einem nachhaltigen Konzept die Olympischen Spiele, im Sommer oder Winter, nach Deutschland zu holen.
Erschienen in Para Sport, Ski Alpin am 04. März 2022
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