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Körperbau, Hormone, Psyche: Darum sollten Fußballerinnen anders trainieren
Körperbau, Hormone, Psyche: Darum sollten Fußballerinnen anders trainieren
Geschlechterspezifisch zu trainieren findet immer mehr Beachtung. Auch im Fußball. Beim FC Ingolstadt in der 2. Liga unterstützt Athletiktrainer Tom Geitner die Spielerinnen dabei, etwa den Zyklus oder Unterschiede im Körperbau zu beachten. Auch die App B42 bietet spezielle Trainingsprogramme für Frauen.
Alex Popp von VfL Wolfsburg kennt es, Guilia Gwinn vom FC Bayern, Lena Lotzen vom 1. FC Köln und viele weitere: Kreuzbandriss. Monatelange Pausen, hartes Aufbautraining und das Risiko, wieder davon betroffen zu sein. Studien und Recherchen der Trainingsapp B42 zufolge sind Rupturen am vorderen Kreuzband bei Frauen – bezogen auf die Spiel- und Trainingszeiten – viermal häufiger als bei Männern. Ebenfalls bei Verletzungen an Sprunggelenk und Meniskus. Das zeigt einmal mehr: Frauen sind eben keine kleineren Männer und müssen entsprechend anders trainieren.
Spezielle Kraft-Programme für Frauen
Um das Training an die Bedürfnisse der weiblichen Anatomie und Physiologie anzupassen, hat die Trainings-App B42 auch ein Programm speziell für Frauen entwickelt. „Wir wollten mit unserer App dabei unterstützen, dass Frauenfußballmannschaften professioneller trainieren können und sich die Spielerinnen weniger verletzen“, sagt Andreas Gschaider, Gründer und CEO von B42. Denn ein signifikanter Grund für die erhöhte Verletzungsanfälligkeit sind muskuläre Disparitäten, also Ungleichheiten, zwischen Streck- und Beugemuskulatur. Und die gilt es im Training besonders zu beachten. Während die Speed- und Mobility-Programme der App nahezu analog zu den Männern geblieben sind, wurden bei den Kraft-Programmen eigens für Frauen konzipierte Übungen ausgewählt. Zum Beispiel der Valgus-Position und einem entsprechenden Beinachsentraining wird dabei Beachtung geschenkt.
Gschaider setzt sich für spezifisches Training für Fußballerinnen ein. Foto: B42
Vor allem im Amateurfußball sieht Gschaider besonders gute Möglichkeiten, mit dem richtigen Know-how und ein paar Tipps das Training zu verbessern. „Der Amateurfußball ist die Basis für den Profisport und ich sehe gerade bei den Frauen noch viel Potenzial, hier die Qualität zu verbessern und einen Grundstein zu legen für die Nachwuchszentren der Proficlubs“, sagt Gschaider. Der Kriminalbeamte weiß aus seinen bisherigen Gesprächen mit Vereinen und Funktionären, dass die Strukturen und Gelder in den meisten Amateurclubs bei den Frauen sehr gering sind und daher kaum Möglichkeiten lassen, professionelle Tools zu nutzen.
Angepasstes Athletiktraining beim FC Ingolstadt
Tom Geitner kennt das Problem der begrenzten Möglichkeiten. Er ist Athletiktrainer bei den Frauen des FC Ingolstadt 04, die in der 2. Bundesliga spielen. Dass es überhaupt einen Athletiktrainer gibt, ist auf diesem Niveau nicht üblich. In ein bis zwei Einheiten pro Woche arbeitet er mit den Spielerinnen an der sportartspezifisch erforderlichen Kraft und Schnelligkeit. „Es geht dabei neben der Leistungsoptimierung vor allem auch um die Prävention von Verletzungen“, sagt er. Nicht nur in Hinblick auf den Sport. Da die Spielerinnen alle neben dem Fußball arbeiten gehen oder studieren, wären längere Ausfallzeiten auch in dieser Sicht nicht wünschenswert. Ein angepasstes Athletiktraining ist für Geitner daher unabdingbar: „Auch die 2. Liga der Frauen ist, was die körperliche Belastung angeht, nahe am Profifußball. Wir trainieren in der Vorbereitung viermal pro Woche, während der Saison sind wir häufig auf Auswärtsfahrten und es wird durchaus sehr körperlich gespielt. Da muss die Regeneration und Physis einfach passen.“
Es geht dabei neben der Leistungsoptimierung vor allem auch um die Prävention von Verletzungen.
Geitner, der eine Heilpraktiker-Praxis hat, beschäftigt sich schon lange mit der Anatomie in Bezug auf Fußball und hat dazu auch ein Buch veröffentlicht („Fußballer haben Knie“). Er weiß: „Biomechanisch haben wir bei Frauen von der Hüfte abwärts ein ganz anderes Belastungsgefüge, aber auch hormonell und psychisch sind Frauen anders zu betrachten. Dies wird bei den Übungen berücksichtigt." Mit Erfolg. Die Verletzungsanfälligkeit ist stark gesunken und innerhalb der Liga sieht Geitner die Mannschaft unter den Top 5 der Mannschaften mit der besten Physis.
FC Chelsea als Vorreiterinnen
Genauso wie das Training auf die weibliche Anatomie abgestimmt und angepasst werden sollte, muss auch der Menstruationszyklus beachtet werden. Zum Beispiel Laura Philipp im Triathlon hat ihr Training komplett danach ausgerichtet und auch in anderen Sportarten wird dem Thema mehr und mehr Beachtung geschenkt. Im Fußball ist dabei der FC Chelsea ein Vorreiter. Emma Hayes, Managerin der Frauen des FC Chelsea, hat 2020 bekannt gegeben, dass der Klub sein Trainingsprogramm mithilfe einer speziellen App an den Menstruationszyklus der Spielerinnen anpassen wird, um die Leistung zu steigern und Verletzungen zu vermeiden. Die Berücksichtigung des Menstruationszyklus in den Trainings- und Ernährungsplänen sollte dazu beitragen, die Gewichtsschwankungen zu kontrollieren, von denen Sportlerinnen in bestimmten Phasen ihres Zyklus häufig betroffen sind. Hayes sagte:
Der Ausgangspunkt ist, dass wir Frauen sind und dass wir monatlich etwas ganz anderes durchmachen als Männer.
Warum spielt der weibliche Zyklus im Training überhaupt eine Rolle? Die Frage lässt sich nicht in wenigen Sätzen beantworten und es gibt durchaus konträre Meinungen zu dem Thema. Während einige Studien keine signifikanten Auswirkungen aufweisen, haben andere Studien zum Beispiel gezeigt, dass in der ersten Zyklushälfte deutlich mehr Kreuzbandrisse passieren. Das kann auf das vermehrte Östrogen in dieser Phase zurückzuführen sein, denn das Hormon reduziert die Festigkeit von Bändern. Nimmt eine Sportlerin die Pille, kommt es dagegen darauf an, welche. Etwa mit einer androgenreduzierenden Verhütungspille kann es zu Problemen mit dem Muskelaufbau kommen. Insgesamt ist die Studienlage zu dem Thema noch dünn. Erst in den vergangenen Jahren haben sich mehr Forschende mit den möglichen Auswirkungen des Menstruationszyklus auf die Leistungsfähigkeit von Sportlerinnen beschäftigt.
Training nach dem Monatszyklus
Um das Training der App B42 an die weiblichen Bedürfnisse anzupassen, haben Gschaider und sein Team unter anderem mit der TU München zusammengearbeitet. Der Gründer sagt: „Wir planen in unserem Programm ein, die Trainingsbelastung in verschiedenen Phasen des Monatszyklus‘ zu reduzieren, da in dieser Zeit die Verletzungsanfälligkeit erhöht sein kann.“ Auch Tom Geitner versucht, sein Athletiktraining bei den Spielerinnen in Ingolstadt an den jeweiligen Zyklus anzupassen. „Je nach Verhütung macht das einfach einen großen Unterschied in den einzelnen Phasen. Daher frage ich bei Spielerinnen mit individuellen Fragebögen zum Beispiel auch nach der Art der aktuellen Verhütung.“
Geitner ist Athletiktrainer bei den Frauen des FC Ingolstadt 04.
Geitner würde gerne noch viel individueller mit den Spielerinnen trainieren, doch aufgrund mangelnder Zeit und Durchführungsmöglichkeiten ist dies nicht immer optimal möglich. Dadurch, dass zur Bundesliga noch Arbeit oder Studium hinzukommen, ist die sind etwaige Zusatzeinheiten manchmal schwer zu realisieren. „Das ist ein extrem großer Aufwand, den die Mädels da betreiben, ich habe absoluten Respekt davor“, sagt Geitner. Und um sie weiterhin dabei zu unterstützen, hat er seinen Vertrag beim FCI, der aktuell noch um den Klassenerhalt in der 2. Liga kämpft, auch schon verlängert.
Erschienen in Fußball am 22. Mai 2022
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