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Erst der Beinbruch, dann Corona: Kunstturnerin Michelle Timm lässt sich nicht entmutigen
Erst der Beinbruch, dann Corona: Kunstturnerin Michelle Timm lässt sich nicht entmutigen
ExklusivKunstturnerin Michelle Timm (23) muss aktuell nicht nur mit den Absagen und Einschränkungen der Corona-Pandemie kämpfen, sondern auch mit den Folgen einer schwierigen Verletzung. Und doch bleibt sie positiv.
Vom Rad bis zum Bogengang – während des ersten Corona-Lockdowns zeigte Turnerin Michelle Timm im Fernsehen Übungen, die auch im heimischen Wohnzimmer fit halten. Nun ist Deutschland im Lockdown light und das bedeutet, dass zumindest die Profisportler:innen weitertrainieren dürfen. Michelle sagt: „Im ersten Lockdown waren wir ja total eingeschränkt, diesmal können wir die Turnhalle weiter nutzen, wenn auch unter strengen Auflagen. Solange es die Corona-Bedingungen zulassen, werde ich jeden Tag trainieren.“
Monatelange unbemerkte Verletzung
Dabei ist Michelle auch jetzt nicht zu 100 Prozent fit. Sie kämpft mit einer jahrelangen Verletzung. Im Sommer 2018 brach sich die Turnerin das Schienbein an – doch lange hat das niemand bemerkt. Michelle trainierte weiter, bis auch das Wadenbein durch Übermüdung einen Knacks bekam. „2019 hatte ich dann eigentlich nur damit zu tun herauszufinden, was meinem Bein fehlt. Als es schließlich klar war, wurde ich Anfang 2020 operiert“, erzählt Michelle. Nun steckt vom Knie bis zum Fuß ein Nagel in ihrem Bein, der helfen soll, die Ermüdungsbrüche zu heilen. Voll belasten kann die 23-Jährige damit aber nicht, vor allem ihre Paradedisziplinen Sprung und Boden sind beeinträchtigt.
Wenn man erst einmal nicht mehr weiß, worauf man hintrainieren soll, fällt man schon in ein kleines Loch.
Die Absage der Deutschen Meisterschaft Anfang November war für Michelle persönlich daher keine große Sache. Mitturnen hätte sie sowieso nicht können. „Alle haben diese Absage erwartet und auch erhofft. Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr waren letztens einige von uns in Quarantäne. So ist eine faire Vorbereitung auf so eine Meisterschaft nicht möglich“, sagt Michelle. Enttäuscht war sie aber doch, als auch das Turnfest 2021 in Leipzig vorzeitig abgesagt wurde. Denn das wäre ihr nächstes Ziel gewesen. „Wenn so etwas wegfällt und man erst einmal nicht mehr weiß, worauf man hintrainieren soll, fällt man schon in ein kleines Loch.“
Ohne Druck den Körper wieder aufbauen
Statt den nächsten Wettkampf zu planen, überlegt sich Michelle nun, wann sie ihre Operation macht. Denn der Nagel in ihrem Bein muss wieder raus. „Ich hänge da gerade etwas in der Luft. Denn nach so einer OP darf ich mindestens sechs Wochen gar keinen Sport machen“, sagt sie. Wobei sie aktuell aufgrund der Absagen durch die Corona-Pandemie zum ersten Mal richtig Zeit hätte, ihren Körper wieder aufzubauen. Ohne Druck.
Ein langer Nagel steckt in Michelle Timms Bein. Foto: privat
Michelle trainiert mittlerweile beim Kunst-Turn-Forum Stuttgart, in ihrer Heimstadt Berlin sah sie kein Entwicklungspotenzial mehr für sich. In Stuttgart machte sie ihr Abitur, jetzt studiert sie im dritten Semester Grundschullehramt. Auch hier profitiert sie sogar ein bisschen von der Corona-Pandemie. „Die Online-Kurse kann ich zum Teil direkt vom Sportzentrum aus machen und spare mir dadurch viel Zeit.“ Normalerweise muss sie immer irgendwo zurückstecken – im Sport, im Studium, bei Freunden und Familie – damit sie alles schafft. Um sich Studium und Sport zu finanzieren, arbeitet Michelle sogar ein paar Stunden beim Schwäbischen Turnerbund in der Organisation mit. „Da haben wir jetzt coronabedingt einiges zu tun“, erzählt sie.
Ich will erst einmal wieder fit werden und wieder richtig in den Turnsport einsteigen.
Zum Turnen kam Michelle schon als kleines Kind. „Das ist so ein faszinierender Sport, bei dem man ständig vor neuen Herausforderungen steht. Außerdem gefällt mir, dass ich Bewegungen kann, die viele andere nicht hinbekommen“, sagt Michelle und lacht. Medaillen im Einzel bei internationalen Weltcups und die EM-Teilnahme 2015 zählt Michelle zu ihren größten Erfolgen. Vor ihrer Beinverletzung träumte sie davon, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. „Jetzt will ich erst einmal wieder fit werden und wieder richtig in den Turnsport einsteigen“, sagt sie. Aber natürlich hat sie auch sportliche Ziele nicht aufgegeben. 2021 findet – zumindest nach aktuellem Stand – die Universade in China statt. Da wäre Michelle schon gerne dabei.
Erschienen in Turnen am 13. November 2020
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