Wintersport

Laura Grasemann: Ski-Freestyle auf der Buckelpiste – Interview Teil 1

Laura Grasemann gehört zu den besten deutschen Buckelpistenfahrerinnen. Auf der unebenen Piste kämpft sie um Bestzeiten und elegante Sprünge. Mehrere deutsche Meistertitel und eine Olympia Teilnahme kann die 28-Jährige schon für sich verbuchen.

Auf zwei Skiern über eine gleichmäßig unebene Skipiste, angereichert mit kleinen Sprungschanzen, die nicht selten für Überkopfmanöversprünge genutzt werden. Das ist Freestyle-Buckelpiste. Die seit 1992 olympische Disziplin gehört zusammen mit Springen, Halfpipe und Skicross zu den Geschicklichkeitsdisziplinen des alpinen Skisports. In den Wettkampfformaten Single, bei dem jeder Athlet einzeln und Dual, bei dem zwei Athleten gegeneinander fahren, messen sich die Sportlerinnen und Sportler in der Buckelpiste.

Eine der besten deutschen Sportlerinnen in dieser Disziplin ist Laura Grasemann. Schon mit drei Jahren stand sie zum ersten Mal auf Ski. Die mehrfache deutsche Meisterin nahm 2014 an den Olympischen Spielen in Sotchi Teil. Im Interview haben wir mit Laura Grasemann über den Sport, die Olympischen Spiele und ihr Karriere-Highlight gesprochen.

Frau Grasemann, Sie sind Freestyle-Skierin in der Disziplin Buckelpiste. Eine Disziplin, die sicher nicht jedem bekannt ist. Was macht für Sie die Faszination am Sport aus?

„Die Vielseitigkeit der Disziplin, die man als Skifahrerin an den Tag legt. Auf der Piste muss man eine möglichst ideale Linie über die ski-technisch anspruchsvollen Buckel finden und bei den zwei Sprüngen geht es dann darum, zwei unterschiedliche Manöver zu zeigen. Ich springe typischerweise einen geschraubten Salto am ersten Sprung und einen Rückwärtssalto mit Grab – also an die Ski greifen und diese dann auch während des Sprung festhalten. Dabei besteht eine besondere Herausforderung darin, direkt aus der Buckelfahrt zu springen und danach wieder in den Buckeln weiterzufahren, da man keinen langen präparierten An- und Auslauf hat.“

Wie werden die Wettkämpfe denn gewertet?

„Es gibt drei Komponenten für die Bewertung: Eine Wertung für die Fahrweise in den Buckeln, die zu 60 Prozent in die Gesamtwertung einfließt und eine Wertung für die Sprünge, wobei hierbei die Ausführungswertung mit einem Schwierigkeitskoeffizienten multipliziert wird, die zu 20 Prozent in die Gesamtwertung einfließt. Die verbleibenden 20 Prozent der Wertung sind die Fahrzeit.“

Wie sind Sie zu dieser besonderen Sportart gekommen?

„Mit drei Jahren habe ich Skifahren gelernt und hatte so großen Spaß daran, dass meine Eltern mich mit sieben Jahren beim lokalen Skiclub, dem Skiclub Wiesloch, angemeldet haben. Dort waren wir eine ganze Gruppe an Kindern, die am Anfang eigentlich alle Disziplinen des Skifahrens betrieben haben: Alpines Stangentraining, Freeriden, im Park und in der Halfpipe und eben Buckelfahren. Das hat mir durch die Abwechslung zwischen dem technisch anspruchsvollen Fahren und den akrobatischen Sprüngen einfach am meisten Spaß gemacht. Vermutlich war die Richtung aber zu einem gewissen Grad auch vorbestimmt, da mein damaliger Trainer ehemaliger Buckelfahrer war.“

Auch bei Ihnen endete die Saison früher als geplant. Wie fällt Ihr Saison-Fazit aus?

„Dass die Saison so kurz war, ist natürlich sehr schade. Aufgrund meiner Promotion war von Anfang an klar, dass ich nicht alle Wettkämpfe fahren kann. Von den acht geplanten Wettkämpfen sind am Ende drei ausgefallen. Einer wegen schlechtem Wetter und zwei wegen Corona. Das ist bitter, besonders, da die letzten beiden Corona-bedingten Absagen erst bekannt gegeben wurden, nachdem wir bereits in Schweden waren und schon einen Trainingstag absolviert hatten. Mit dem Rest der Saison bin ich zufrieden. In 4 von 5 Wettkämpfen stand ich im Finale. Zwei dieser Finale konnte ich unter den Top 10 beenden. So hatte ich mich mit gerade einmal der Hälfte der bestrittenen Wettkämpfe recht komfortabel für das Weltcupfinale qualifiziert, das jedoch leider Corona-bedingt ausgefallen ist. Als Vollzeitdoktorandin ist das nicht selbstverständlich.“

Laura1_Foto_Harald Marbler.jpg Laura Grasemann hat neben dem Spitzensport noch promoviert. Foto: Harald Marbler

Sie sprechen ihre Promotion an. Neben Training und Sponsorensuche haben sie nebenher in München studiert und das Studium im Oktober 2018 mit dem Master abgeschlossen. Aktuell promovieren Sie in Lausanne. Wie schaffen Sie es, Sport und Studium unter einen Hut zu bringen?

„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Ich habe mir 2011, entgegen aller Ratschläge, in den Kopf gesetzt, neben dem Leistungssport molekulare Biotechnologie zu studieren. Das Unterfangen hat viel Disziplin gebraucht, viel Kulanz und gute Freunde. Ohne die Unterstützung von Professoren, Trainern und vor allem meinen Kommilitonen wäre die Kombination unmöglich gewesen. Ich habe als Sportlerin keine Sonderbehandlung bekommen und alle Prüfungsleistungen genau wie andere Studierende erbracht. Allerdings war ich durch den Sport höchstens ein Drittel der Zeit in der Uni anwesend und wurde von Kommilitonen mit Mitschriften und Unterlagen unterstützt. Ich konnte einige Praktika verschieben und auch eine Prüfung von Kanada aus schreiben. Vor allem ein gutes Zeitmanagement war wichtig, das habe ich über die vielen Jahre der Doppelkarriere gelernt."

Das klingt anstrengend...

"Ich nutze Pausen beim Lernen oder bei der Arbeit für den Sport und umgekehrt. So trainiere ich oft auch noch spät abends. Wenn man keine Zeit „zu verschenken“ hat, ist es manchmal einfacher, sich aufzuraffen und zu motivieren, weil man nichts aufschieben kann. Im Nachhinein haben sich Sport und Studium sehr gut ergänzt und ein Teil meines Lebens hat mir geholfen Tiefen im anderen Teil des Lebens zu überwinden. Nicht zuletzt habe ich viel dabei gelernt, vor allem über mich selbst.“

Die Buckelpisten unterscheidet sich durch ihre Unebenheiten und Sprungschanzen von einer normalen Skipiste. Wo finden Sie gute Bedingungen zum Trainieren und wie kann man sich das Training vorstellen?

„Wettkampfbuckelpisten sind künstlich gebaut. Zum Trainieren braucht man dementsprechend auch künstlich gebaute Pisten oder zumindest Teile. Präparation und Pflege sind sehr viel Arbeit. Daher schließen sich in der Regel mehrere Nationen zusammen. So sind wir im Frühjahr in der Regel in Österreich am Gletscher, im Sommer in Norwegen, im Herbst in der Schweiz und Österreich, bevor es zum ersten Weltcup mit vorhergehendem Training nach Nordfinnland geht. Im Frühjahr trainieren wir eher auf Teil-Pisten, um besonders Sprünge und Fahrtechnik zu üben. Die Skitrainings finden meist in Blöcken von mehreren Wochen statt. Ab Norwegen steht dann in der Regel eine ganze Piste mit zwei Sprüngen zur Verfügung. Neben dem sportartspezifischen Schneetraining wird natürlich auch sehr viel Wert auf Athletiktraining gelegt.“

Bereits 2008 bestritten Sie ihre ersten Europa- und Weltcuprennen auf der Buckelpiste. Im Februar 2014 haben Sie in Sotschi Ihr bis dahin größtes sportliches Highlight erlebt. Wie war die Teilnahme an den Olympischen Spielen für Sie?

„Die Teilnahme an den Olympischen Spielen war sicher spannend und etwas ganz anderes im Vergleich zu anderen Wettkämpfen. Vermutlich vor allem, weil ich das ganze Drumherum nicht gewohnt war. Normalerweise steht bei unseren Wettkämpfen der Sport im Vordergrund, das würde ich bei den olympischen Spielen so nicht unbedingt unterschreiben.“

War es das Highlight ihrer Karriere?

„Ganz klar: nein. Das Highlight meiner Karriere war mein Podium beim Weltcup in Japan. Auch der 5. Platz bei der Weltmeisterschaft 2019 in Park City ist ganz weit oben in der Liste meiner Karrierehighlights und das Weltcupfinale 2016 in der Moskauer Innenstadt, das seinen ganz eigenen Flair hatte.“

Die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2018 haben Sie verpasst. Beim Weltcup nach Olympia haben Sie dann im japanischen Tazawako ihr bestes Karriereergebnis eingefahren und sind als dritte zum ersten Mal aufs Weltcup-Podium gefahren. Hat Sie der Rückschlag im Zuge der verpassen Qualifikation beflügelt?

„Ich würde nicht sagen, dass mich der Rückschlag der verpassten Qualifikation beflügelt hätte, im Gegenteil, ich war am Boden zerstört. Dafür war dann der Druck in Japan weg. Der Druck sich qualifizieren zu müssen, der Druck zu versagen, das gesteckte Ziel nicht zu erreichen, der Druck beweisen zu müssen, dass man Förderung verdient hat beziehungsweise gehabt hätte, der Druck zu beweisen, dass man in Zukunft wieder gefördert werden sollte. Denn das Worst-Case-Szenario war ja schon eingetroffen: Ich hatte mein großes Ziel verpasst, der Traum war bereits geplatzt, die olympischen Medaillen waren ohne mich vergeben worden und ich hatte nichts mehr zu verlieren. Losgelöst von diesem riesigen Paket an Druck bin ich einfach nur befreit Ski gefahren. Wie weit dieses „einfach nur Ski fahren“ reicht, hätte ich mir bei der Bekanntgabe des Olympiakaders ohne mich wohl selbst nicht erhofft.“

Die von Laura Grasemann angesprochene Förderung ist das, worauf sie und ihr Team seit 2014 vergeblich hoffen. Nach den Olympischen Spielen in Sotchi hat der Deutsche Skiverband die Förderung ihrer Sportart eingestellt. Die hohen Investitionen für eine Mannschaft in dieser Sparte rechneten sich nicht mehr, hieß es damals. Doch Laura Grasemann und andere deutsche Buckelpistenfahrerinnen und -fahrer kämpfen weiter. Woher die Motivation dafür kommt, wie sie ihre Saison finanziert und was sie sich für den Sport wünscht, verrät uns Laura Grasemann im zweiten Teil des Interviews.

Jana Glose

Jana Glose

Erschienen in Wintersport am 07. Mai 2020

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