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Auf dem Weg nach Tokio: Köhler schwimmt raus aus dem Schatten

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Jörg Soldwisch

13. April 2021

SerieSarah Köhler steht etwas im Schatten ihres Verlobten Florian Wellbrock. Dabei ist die Vizeweltmeisterin selbst längst Weltklasse und abseits des Beckens zu einer beeindruckenden Persönlichkeit gereift. In einer Serie mit dem Sport-Informations-Dienst (SID) begleiten wir Deutschlands Sportlerinnen auf dem Weg nach Tokio.

Die Schlagzeile "Die neue Franzi" will Sarah Köhler auf keinen Fall über sich lesen, sollte sie wie erhofft in Tokio zu einer Olympia-Medaille schwimmen. "Weil ich definitiv nicht bin wie Franziska van Almsick, ich bin auch nicht wie Britta Steffen oder sonst irgendwer, der vor mir erfolgreich war", sagte Köhler im SID-Interview: "Ich bin ich!"

Die Fußstapfen, die van Almsick und Steffen in der Hochzeit des deutschen Schwimmsports hinterlassen haben, sind riesig. Und als wäre das nicht schon genug, wirft auch Köhlers Verlobter einen großen Schatten. Der Doppel-Weltmeister ist Deutschlands Vorschwimmer Nummer eins und steht meistens im Rampenlicht. Köhler, die 2019 mit Gold (Freiwasser-Staffel) und Silber (1500 m) selbst reiche WM-Beute gemacht hatte, hat damit keine Probleme: "Er soll für seine Erfolge auch die Aufmerksamkeit bekommen, die er verdient."

In der Weltspitze angekommen

Dabei verfügt Köhler auch über Star-Potenzial. Die Jura-Studentin hinterlässt mit sympathischen und eloquenten Auftritten Eindruck, als Athletensprecherin nimmt sie beim aktuellen Chaos im Verband kein Blatt vor dem Mund ("Bringt Unruhe und Verunsicherung"). Und sportlich ist die 26-Jährige in der Weltspitze angekommen. Eine Medaille in Tokio sei "natürlich das große Ziel", aber sie könne nur ihre eigene Leistung beeinflussen.

Vor allem Ausnahmeschwimmerin Katie Ledecky (USA), die die Langstrecken seit Jahren dominiert, dürfte für Köhler unerreichbar bleiben. Frust löst das bei der Magdeburgerin nicht aus - im Gegenteil. "Man kann an ihr sehen, was möglich ist und in welche Zeitbereiche man vordringen kann, wenn man die richtige Technik hat und der Trainingsplan stimmt", sagt Köhler: "Das spornt natürlich auch an."

Mit dem Erfolg wächst das Selbstvertrauen

Seit ihrem Wechsel nach Magdeburg, wo sie oft Seite an Seite mit Wellbrock trainiert, hat die gebürtige Hessin nochmal einen enormen Sprung nach vorne gemacht. Heimtrainer Bernd Berkhahn erhöhte Köhlers Trainingsumfänge und achtet penibel auf die perfekte Ausführung jedes Armzugs. Mit dem Erfolg wuchs auch das Selbstvertrauen, ein Limit sieht die Kurzbahn-Weltrekordlerin für sich selbst nicht: "Ich bin immer bereit, auch meine eigenen Erwartungen zu übertreffen."

Dafür schuftet Köhler jeden Tag im Training, das stundenlange Kachelnzählen ist für sie manchmal sogar Erholung. "Wenn ich durchs Wasser gleite, mit jedem einzelnen Zug ohne größeren Aufwand vorankomme, um mich herum nichts höre außer die Wassergeräusche - das ist ein bisschen wie Spa", vergleicht Köhler:

"Man fühlt sich gut, man kann den Stress kurz vergessen. Es ist ein bisschen Erholung für die Seele."

Dieses Erlebnis wird den Breitensportlern durch die Coronakrise gerade genommen. Köhler schaut mit Sorge auf die vielen ausgefallenen Schwimmkurse, "wir haben schon in den letzten Jahren die Entwicklung gehabt, dass immer mehr Kinder und auch Erwachsene durch Ertrinken sterben". Sie hofft auf Konzepte, die ein Öffnen der Bäder bald ermöglichen.

Zum Abschluss der Quali noch einmal beweisen

Als Kader-Athletin darf Köhler mit einer Ausnahmegenehmigung ins Becken springen. Bei der Rückkehr nach langer Corona-Pause überzeugte sie in Magdeburg mit dem Sieg über 1500 m (16:07,71 Minuten), am kommenden Wochenende will die deutsche Rekordhalterin zum Abschluss der Olympia-Qualifikation in Berlin nochmal einen draufsetzen.

Ihr Verlobter Wellbrock, der ebenfalls eine großartige Frühform vorweisen kann, ist dann auch am Start. Eine Inszenierung als Schwimm-Traumpaar, was aus Vermarktungsgründen sicher verlockend wäre, wird es aber nicht geben. Nicht in Berlin und nicht in Tokio. "Wir sind zwei Einzelsportler, und als die wollen wir auch wahrgenommen werden", betont Köhler. Man werde sich zwar "nicht verstecken, aber wir treten nicht im Doppelpack auf." Denn Sarah Köhler ist mehr als nur die Freundin von Wellbrock oder eine mögliche Nachfolgerin von van Almsick und Steffen. Oder wie sie es ausdrückt: "Ich bin ich!"


Serie "Auf dem Weg nach Tokio"

Gemeinsam mit dem Sport-Informations-Dienst (SID) realisieren wir derzeit eine Serie über Spitzensportlerinnen auf dem Weg nach Tokio. Neben Text und Video produziert meinsportpodcast.de dazu auch eine Podcast-Reihe, die unter dem Namen „Sportfrauen auf dem Weg nach Tokio“ auf der Plattform zu finden ist.

Erschienen in Schwimmen am 13. April 2021

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