Zwei Schweizerinnen, ein Ruderboot und tausende Kilometer über den Atlantik

ExklusivSonja Graf und Marina Hunziker, zwei junge Frauen aus der Schweiz, haben sich ein herausforderndes Projekt vorgenommen: im Ruderboot tausende Kilometer über den Atlantik. Für die beiden Schweizerinnen heißt das jede Menge Training – und theoretisches Wissen über das Wetter, die See und ihre Gefahren.

Es gilt als das härteste Ruderrennen der Welt, rund 5.000 Kilometer über den Atlantik, knapp zwei Monate unterwegs auf See: die Talisker Whisky Atlantik Challenge. Tag und Nacht auf dem Boot, ohne Motor, dafür mit jeder Menge Muskelkraft. Dieser Herausforderung wollen sich zwei junge Frauen aus der Schweiz stellen: Sonja Graf und Marina Hunziker. Die beiden 30-Jährigen hatten keinerlei Rudererfahrung – bis sie sich vor etwa zwei Jahren entschlossen, dieses Rennen zu fahren. „Ich habe nach einem Hobby gesucht, das mit körperlicher Bewegung zu tun hat. Und als ich eine Doku über das Rennen gesehen habe, hat mich das total gefesselt“, erzählt Marina. Die Idee hat sie nicht mehr losgelassen und Sonja hat sie auch gleich damit angesteckt.

Der Plan: In 50 Tagen über den Atlantik

Sonja und Marina werden das einzige weibliche Zweierteam aus der Schweiz sein, das bei der Challenge am Start ist. Insgesamt 37 Teams – von Einer- bis Fünfer-Booten – starten im Dezember von La Gomera und überqueren den Atlantik bis Antigua. Wie lange das Rennen tatsächlich dauert, kommt stark auf das Wetter und die Strömungen an. Die schnellsten Teams schaffen das in rund 32 Tagen. Sonja und Marina peilen 50 Tage an. Vor allem geht es den beiden aber darum, anzukommen.

worldmapcutcirc.jpg Von La Gomera bis Antigua müssen Sonja und Marina rudern. Foto: ProwjectX

„Boah, cool, ich bin dabei“, waren die ersten Gedanken, die Sonja hatte, als Marina ihr von der Idee erzählt hat. Und das, obwohl sie selbst nie gerudert ist. Die Ruderer immer nur vom Fenster ihres Büros aus beobachtet hat. „Ich habe lange nach einem Sport gesucht, der Abwechslung bringt, den ich allein machen kann und im Team. Da ist Rudern perfekt.“ Beide Frauen schwimmen wahnsinnig gerne und fühlen sich auch sonst im Wasser wohl. Gute Voraussetzungen, um tagelang auf dem offenen Meer unterwegs zu sein. Essen auf dem Boot, schlafen auf dem Boot. Und rudern, rudern, rudern. Während die eine sich ausruht, packt die andere weiter an.

Kurse über Meteorologie und Navigation

Doch bis es damit wirklich losgehen kann, haben Sonja und Marina noch einiges an Arbeit vor sich. Nicht nur was das Training angeht. „Was ich nicht erwartet hatte, war wie viel administrative Arbeit wir haben werden“, gibt Marina zu. Vom Erstellen der eigenen Webseite bis zur Organisation der richtigen Ausrüstung. Hinzu kommen viele theoretische Kurse, die vor dem Start absolviert werden müssen. Sonja erzählt: „Zum Beispiel lernen wir wichtige Fakten über Meteorologie, über Navigation und wie wir uns auf See in bestimmten Situationen retten können.“ Schließlich müssen die beiden auf alle potenziellen Gefahren vorbereitet sein.

„Es gibt ja keine unlösbaren Probleme und man darf sich von den Gefühlen nicht überwältigen lassen.“ Sonja Graf

Angst? Haben die beiden derzeit keine. „Sicher wird auf dem Atlantik irgendetwas passieren, das das Herz höher schlagen lassen wird“, sagt Sonja und lacht. „Aber es gibt ja keine unlösbaren Probleme und man darf sich von den Gefühlen nicht überwältigen lassen.“ Beim Rennen 2020 wurden zum Beispiel zwei Boote von Schwertfischen angegriffen, die mit ihren Schwertern durch das Carbon stachen. „Da beruhigt mich, dass wir ein sehr stabiles Boot haben und uns das nicht passieren kann.“ Sonja sieht der Herausforderung gelassen entgegen. Marina gibt zu, zu Beginn des Projekts etwa Angst gehabt zu haben, im Dunkeln auf dem Wasser zu sein. „Das ist aber kein Problem mehr, wir sind jetzt schon einige Male nachts auf dem See gerudert.“

Auf dem Vierwaldstättersee in der Zentralschweiz trainieren Marina und Sonja regelmäßig. Sie sind in den Ruderclub eingetreten. Mit der „Miss Universe“, wie das Boot der beiden heißt, bereiten sich Sonja und Marina dort auf die Challenge vor. Wenn es jetzt draußen wärmer wird, wollen sie die Wochenenden gemeinsam auf dem See verbringen. Den Winter über haben sie viel Zeit auf dem „AquaRower“, einem Rudergerät von Kettler verbracht, das die beiden für ihre Vorbereitung gesponsert bekommen haben. Marina sagt: „Das ist total hilfreich, man rudert dabei wie gegen Wasserwiderstand.“ Während Marina vor allem an Ausdauer und der Muskulatur im unteren Rücken und Bauch arbeitet, verbessert Sonja zudem mit vielen Yoga-Einheiten ihre Beweglichkeit und Stabilität und arbeitet an der Oberkörpermuskulatur. „Und sonst heißt es rudern, rudern, rudern“, sind sich beide einig.

Prowject X_Training auf Rudergerät zuhause_300dpi.jp g.jpeg Auf dem Rudergerät trainieren Marina und Sonja zuhause. Foto: ProwjectX

Natürlich gibt es auch mal Situationen, in denen sich Sonja und Marina nicht einig sind. „Wir sind sehr direkt miteinander und da gab es auch schon Momente, in denen es auf dem See mal geheißen hat: Schnauze halten“, erzählt Marina und lacht. Böse nehmen sich die Ruderpartnerinnen das nicht. Und schließlich wird jede von ihnen auf dem Atlantik auch hin und wieder an ihre Grenzen kommen – und das muss die andere dann einfach akzeptieren.

„Wir sind sehr direkt miteinander und da gab es auch schon Momente, in denen es auf dem See mal geheißen hat: Schnauze halten." Marina Hunziker

Genau wie die Familien der beiden bei der Entscheidung, an dem Rennen teilzunehmen, nicht viel mitzureden hatten. Vor allem Marinas Eltern sind nicht glücklich über diese Challenge. „Bei uns zuhause ist das ein sehr emotionales Thema und meine Eltern machen sich große Sorgen“, sagt Marina, die sich davon aber nicht von ihrem Plan abbringen lässt. Sonjas Mama dagegen hat die Nachricht sehr locker aufgefasst. Sie kennt ihre Tochter und weiß, dass sie sie sowieso nicht mehr davon abbringen kann. Wenn es dann im Dezember wirklich losgeht und Sonja und Marina wochenlang unterwegs sein werden, können Freunde und Familie live auf der Webseite oder mit einer App verfolgen, wo sich die „Miss Universe“ gerade herumtreibt. Außerdem gibt es Internet an Bord. „Das reicht nicht für Netflix, aber wir können mal eine WhatsApp schicken oder ein Video“, sagt Marina. Bei 24 Stunden am Tag auf dem Boot bleibt dafür sicher genügend Zeit.

Fakten zur Talisker Whisky Atlantik Challenge

  • Jedes Team rudert während eines Rennens mehr als 1,5 Millionen Ruderschläge.
  • Die Wellen, die die Ruderer erleben werden, können bis zu 20 Fuß hoch sein.
  • Ruderer verbrennen mehr als 5.000 Kalorien pro Tag.
  • Beim Rennen 2015/16 waren erstmals zwei reine Frauenteams am Start.
  • 2019 war das erste Frauenboot aus Deutschland dabei: vier Hamburgerinnen kamen nach 42 Tagen ins Ziel.

Erschienen in Wassersport am 20. März 2021

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