Para Sport

Parakanutin Edina Müller: Mit Kind und Kajak zu Olympia

ExklusivAls aktive Leistungssportlerin eine Familie zu gründen ist für viele Frauen kaum vorstellbar. Doch dass Familie und Erfolg im Spitzensport miteinander vereinbar sind, zeigt Parakanutin Edina Müller. Zwei Jahre nach der Geburt ihres Sohnes Liam ist sie auf dem Weg zu ihren vierten Paralympics.

Zügig und grazil gleitet das schwarze Boot, verziert mit bunten Werbeaufklebern und einer kleinen schwarz-rot-goldenen Flagge am Bug, über die Duisburger Regattabahn. Mit kräftigen Paddelschlägen treibt Edina Müller ihr Kajak voran. Ihre hellblaue Rettungsweste und das bunte Stirnband über dem Pferdeschwanz lassen sie aus dem tristen Grau in Grau an diesem bewölkten Frühlingstag hervorstechen. Abseits der roten und gelben Bojen zieht sie ihre Bahnen. Die 37-Jährige ist Deutschlands erfolgreichste Parakanutin. Gerade bereitet sie sich im Trainingslager auf die Paralympischen Spiele im Sommer in Tokio vor.

Immer mit dabei ist ihr Sohn Liam. Während seine Mama auf der Regattabahn auf und ab paddelt, sitzt der 2-Jährige in neongelber Rettungsweste auf dem Schoß von Papa Niko, der ein kleines Elektroboot in etwas Entfernung zum Kajak über das Wasser steuert.

Ich nehme Liam überall hin mit, in alle Trainingslager und zu allen Wettkämpfen.

Im Training gibt Edina Müller alles, denn bei ihren vierten Paralympics Anfang September in Tokio will sie um Olympia-Gold kämpfen. Dabei begann sie ihre sportliche Karriere ganz anders. Mit 16 Jahren spielte die gebürtige Rheinländerin noch begeistert Volleyball. Doch seit einem Behandlungsfehler nach Rückenproblemen ist Edina Müller querschnittsgelähmt. Der Rollstuhl hält sie aber von Anfang an nicht vom Sport ab und sie kommt über Sitz-Volleyball und Rollstuhltennis zum Rollstuhlbasketball. Hier gewinnt sie während ihrer Karriere so ziemlich alles, was es zu gewinnen gibt. Nach einer Silbermedaille bei den Paralympics 2008 in Peking wird sie 2012 in London mit der Nationalmannschaft Olympiasiegerin.

Rollenwechsel: Aus der Sporthalle aufs Wasser in die zweite Sportkarriere 

Zwei Jahre später ist dann erst mal Schluss und sie kehrt dem Rollstuhlbasketball den Rücken. Doch lange ohne Sport geht es nicht. Edina Müller tauscht den Basketball gegen ein Paddel und findet im Kanusport eine neue Passion. Zunächst nur als Hobby gedacht, entwickelt sich der Sport auf dem Wasser zu ihrem neuen Leistungssport. Innerhalb von zwei Jahren entwickelt sie sich von einer Hobby-Kanutin zur Besten der Welt, wird Europa- und Weltmeisterin und knackt über 200 Meter den Weltrekord. Bei der paralympischen Premiere des Parakanu und ihren dritten Paralympics holt Edina Müller 2016 in Rio die Silbermedaille. „In Rio wusste ich noch nicht, ob ich das noch bis Tokio machen möchte. Aber dann habe ich bei der Abschlussfeier die Vorstellung von den Spielen in Tokio gesehen und gedacht, Wahnsinn, das wird richtig, richtig toll und da wärst du einfach gerne dabei“, sagt die Kanutin mit Blick auf ihr neues Ziel.

Wenn es in Tokio über die 200-Meter-Distanz um olympisches Edelmetall geht, soll wenn möglich auch Sohn Liam mit dabei sein, um seine Mama anzufeuern. Denn zwischen Rio und Tokio entscheidet sich die Kanutin zusammen mit ihrem Partner Niko, die Familienplanung in Angriff zu nehmen. Mit dem Blick auf Tokio wird die Kinderplanung zeitlich eingegrenzt,

denn eine Schwangerschaft als aktive Athletin will gut geplant sein. „Das lässt sich ja nicht immer so richtig timen und geht ja alles seinen eigenen Weg, aber wir hatten uns ungefähr ein Jahr gegeben, wo wir gesagt haben, da versuchen wir es. Als das Jahr dann eigentlich vorbei war, bin ich dann schwanger geworden“, erklärt die Leistungssportlerin, die im Sommer 2018 von der Schwangerschaft erfährt.

Mein Trainer war direkt die dritte Person, die das erfahren hat.

Support: Ihre Sponsoren unterstützen, der Verband sagt zunächst tschüss 

Neben ihrem Umfeld bekommt die Rollstuhlfahrerin auch von ihren Sponsoren Rückhalt. „Ich hatte schon ein bisschen wackligen Knie, aber die Reaktion war super positiv. Mir wurde direkt gesagt: Klar unterstützen wir dich weiter, das wird mit Kind noch schöner. Da fällt einem dann schon ein Stein vom Herzen.“ Doch nicht von allen Seiten kann die werdende Mutter auf diese Unterstützung setzen.

Dass man aus so Förderungen rausfliegt, geht dann immer ganz schnell. 


Die finanzielle Unterstützung ist nicht das Einzige, was Edina Müller in ihrer Schwangerschaft fehlt. „Es gab niemanden der mir während der Schwangerschaft gesagt hat, wie ich am besten trainieren kann. Das ist schon ein Manko“. Trainingspläne für Schwangere im Spitzensport – Fehlanzeige. Deshalb aufhören ist für die Kämpferin aber keine Option. Auch schwanger feiert Edina Müller weiter sportliche Erfolge.


Im vierten Monat bin ich noch die Deutsche Meisterschaft mitgefahren. Liam ist mit mir Deutscher Meister geworden.

Comeback: Sieben Wochen nach der Geburt von Sohn Liam zurück im Training 

Die Schwangerschaft und auch die Geburt von Sohn Liam im Januar 2019 verlaufen ohne Probleme und erleichtern Edina Müller die Rückkehr in den Spitzensport. „Ich hatte eine super Schwangerschaft und konnte mich lange fit halten und erhaltend arbeiten, sodass ich nicht wieder bei null angefangen habe. Direkt nach dem Go vom Arzt konnte ich wieder trainieren und saß sieben Wochen nach der Geburt von Liam das erste Mal wieder auf dem Ergometer“, sagt die Rollstuhlfahrerin. Doch ab jetzt gibt Sohn Liam die Schlagzahl vor. „Ich wusste, dass ich das mit Tokio gerne machen würde, aber natürlich nicht um jeden Preis. Gerade als er da war, war für mich klar, dass er an erster Stelle steht und Priorität hat und ich den Sport halt drum herum organisiere.“ Das ist gar nicht so einfach, denn konkrete Vorgaben, wie die Vereinbarkeit von Kind und Karriere im Spitzensport aussehen, fehlen.

Das war für mich ein Muss, dass er dabei ist. Sonst hätte ich meine sportliche Karriere beendet.

Bereits im Sommer nach der Babypause löst Edina Müller das Ticket für die Paralympics in Tokio, sichert sich bei der Weltmeisterschaft die Silbermedaille und ist dabei so schnell wie nie zuvor auf dem Wasser unterwegs. Ihr Sohn ist dabei abseits des Wasser immer mit von der Partie. „Liam ist schon immer einfach gerne mit dabei und hat auch mit dem Team viel Spaß. Das hat uns sehr nett aufgenommen und jeder macht da mit und hilft. Das ist einfach eine sehr schöne Dynamik geworden mit dem Kleinen und er hat Riesenspaß dran und das macht es für mich natürlich sehr einfach“, berichtet sie. Auch Parakanu-Bundestrainer Jürgen Hausmann unterstützt seine Sportlerin, wo er kann.

Der Sohn gehört eben dazu. Der ist Familie und wir ermöglichen alles, dass er dabei sein kann.

Olympia-Traum: Leistungssport, Kind und Beruf auf dem Weg nach Tokio

Damit Sohn Liam aber immer und überall dabei sein kann, muss Edina Müller viel organisieren. Von der Akkreditierung über Unterkunft und Flüge bis hin zur Verpflegung muss die Parasportlerin alles selbst planen und auch bezahlen. „Das ist schon ein großer finanzieller Aufwand. Ich muss immer gucken, dass wir das irgendwie finanziert bekommen. Im Trainingslager versuche ich immer die gleiche Unterkunft zu nehmen, wie die anderen Athleten, aber das ist nicht immer möglich, weil das natürlich auch preislich für mich irgendwie noch passen muss am Ende“, erzählt sie. Auch eine Betreuungsperson muss für den 2-Jährigen Liam immer vor Ort sein. Wenn ihr Partner nicht mit dabei ist, fährt ihre Mutter mit in Trainingslager oder zu Wettkämpfen, um sich um den Enkel zu kümmern.

Aber auch gute Planung hat Grenzen. Eigentlich wollte die Wahl-Hamburgerin ihre verlängerte Elternzeit nutzen, um sich optimal auf die Paralympischen Spiele 2020 in Tokio vorzubereiten und Training und Mutterrolle gut unter einen Hut zu bekommen. Doch dann kam die Corona-bedingte Verschiebung um ein Jahr und alles anders. Nach Ende der Elternzeit arbeitet Edina Müller seit November wieder als Sporttherapeutin in Hamburg und muss damit einen Spagat zwischen Beruf, Leistungssport und Kind schaffen.

Täglich ist es immer eine kleine Herausforderung, alles unter einen Hut zu bekommen.

Trotz der vielen Herausforderungen und der Dreifachbelastung hat Edina Müller ihr Ziel klar im Blick: Im Kajak-Einer möchte sie bei den Paralympics in Tokio um Gold kämpfen, denn dass man trotz Rollstuhl, Kind und Beruf auch sportlich erfolgreich sein kann, hat sie auch jetzt schon allen gezeigt.

Jana Glose

Jana Glose

Erschienen in Para Sport, Wassersport am 09. Mai 2021

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