Von wegen Legende verloren: Podcast deckt vergessene Geschichten im Frauenfußball auf

ExklusivEs gibt einen neuen Podcast im Frauenfußball! „Legende Verloren“ heißt er und erzählt die (fast) vergessenen Geschichten der 1990 gegründeten Bundesliga. Sportfrauen hat die Macher*innen hinter „Legende Verloren“ interviewt.

Am Anfang stand ein Austausch auf Twitter. Daraus wurden eine Recherche und ein ZEIT-Artikel, der die Bundesliga-Geschichte neu schrieb. Nicht Iris Taaken, wie man so lange annahm, hat das erste Tor der Bundesliga geschossen, sondern Katja Bornschein. Im Spiel TuS Binzen gegen den FSV Frankfurt am 02. September 1990. Diese Recherche war die Grundlage für den Podcast „Legende Verloren“, hinter dem Franziska Blendin, Sascha Düerkop sowie Shary Reeves und Ellen Hanisch stehen.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, den „Legende Verloren“-Podcast zu starten?

Franzi: Wir waren alle drei schon im Frauenfußball unterwegs und haben uns dann über Twitter kennengelernt, als es um das erste Tor der Bundesliga ging. Das wollten wir genauer wissen und haben begonnen, zu recherchieren. Da sind wir anfangs gegen Wände gelaufen. Nachdem Sascha fast alle Landesverbände angeschrieben hatte, hatten wir irgendwann den ersten Spieltag komplett rekonstruiert und ich habe vorgeschlagen, aus dem ganzen Material einen Podcast zu machen.

Sascha: Viele Verbände hatten keine Aufzeichnungen von damals, haben uns aber Kontakte verschafft. Irgendwann hatte ich mit Spielerinnen von beinahe jedem Bundesligisten von 1990 Kontakt und viele spannende Geschichten erfahren. Außerdem hatte ich ungefähr 30 Abos bei Regionalzeitungen in ganz Deutschland, um Information aus den Archiven dort zu ziehen. Aber bei vielen hat auch das nicht gereicht. Es war einfach eine sehr kleinteilige Arbeit.

Deshalb auch der Name eures Podcasts, „Legende Verloren“?

Franzi: Wir haben einen ZEIT-Artikel über die Suche nach der ersten Bundesliga-Torschützin geschrieben, der anfangs den Titel „Auf der Suche nach der verlorenen Legende“ trug. Legenden werden erst geboren, wenn man darüber redet, aber wenn man dies nicht macht und sie nicht historisch aufgearbeitet werden, zum Beispiel weil es keine Plattform oder Austausch gibt, dann entstehen diese Legenden auch nicht.

„Legende Verloren“ legt den Fokus auf die Geschichten aus der ersten Bundesliga-Saison mit der Intention, die damaligen Protagonist*innen erzählen zu lassen. (Franziska Blendin)

Was kann der Hörer bei „Legende Verloren“ erwarten?

Franzi: Wir wollten erstmal eine Miniserie anfangen. Und dann kamen uns ganz viele Ideen, weshalb wir jetzt vielleicht auch weitermachen. „Legende Verloren“ legt den Fokus auf die Geschichten aus der ersten Bundesliga-Saison mit der Intention, die damaligen Protagonist*innen erzählen zu lassen. Eine Folge handelt zum Beispiel vom VfL Wolfsburg, eine andere beschäftigte sich dagegen mit dem SV Wilhelmshaven, der sich genau eine Saison in der Bundesliga hielt. Bei Folge 8 soll die erste Bundesliga-Saison abgeschlossen sein, danach wollen wir den Podcast für fußballhistorische und gesellschaftliche Themen öffnen.

Habt ihr eine Lieblingsgeschichte von damals?

Ellen: Die mit dem Physiotherapeuten, der auch Bademeister war und bei jeder kleinen Unterbrechung wie ein aufgescheuchtes Huhn auf den Platz gerannt ist. Der wusste überhaupt nicht, was er machen sollte und war den Job dann auch relativ schnell wieder los. Eigentlich geht sowas gar nicht. Immerhin sprechen wir von 1990 und nicht 1920. Aber so wie die das erzählen, ist es einfach lustig. Da muss man einfach mitlachen, obwohl es eigentlich gar nicht witzig ist.

Franzi: Bei den Vorgesprächen für die SV Wilhelmshaven-Folge hatte ich am meisten Bauchschmerzen vor Lachen. Das ist eine Truppe. Die sind alle noch miteinander befreundet, wohnen immer noch in der gleichen Gegend und haben noch Kontakt zu ihrem Trainer.

Sascha: Die Geschichte fand ich auch super. Witzig war auch, was Martina Voss-Tecklenburg zu erzählen hatte. Sie hat uns von der legendären Siegener Bierstaffel erzählt, die hauptsächlich daraus bestand, dass jede Spielerin hintereinander ein Bier auf Ex trinken musste. Echt witzig, dass es diese familiäre Atmosphäre auch an der absoluten Spitze bei Siegen damals gab, die im Vergleich schon sehr professionell arbeiteten.

Der bessere Fußball wird trotzdem bei uns in der Bundesliga gespielt. Nur kann man ihn nirgends sehen – und das ist es, was mich so wütend macht. (Ellen Hanisch)

Es gibt durchaus kritische Töne bei euch im Podcast, was den DFB, die heutige Bundesliga und auch die Medien angeht. Wie seht ihr den Frauenfußball heute?

Ellen: Im Vergleich zu früher ist ja schon viel passiert. Andererseits hat man das Gefühl, dass da niemand so richtig Bock drauf hat. Ich freue mich, dass Frauenfußball überhaupt irgendwo übertragen wird, aber dann ist oft die Qualität nicht gut. Die Ligen in anderen Ländern sind teilweise sehr viel zugänglicher. In England kann man sich mit der FA Player App fast alle Spiele anschauen. Das gleiche gilt für die US-Liga NWSL und Australiens W-League. Aber der bessere Fußball wird trotzdem bei uns in der Bundesliga gespielt. Nur kann man ihn nirgends sehen – und das ist es, was mich so wütend macht.

Meint ihr, es wird besser, wenn sich nun mehr reine Frauenteams an Männerclubs anschließen?

Ellen: Ja, auf jeden Fall. Die mediale Aufmerksamkeit ist dann zwar nur deswegen da, aber das ist besser als nichts. Gerade bei Eintracht Frankfurt merkt man das, die ja mit dem Rekordmeister 1. FFC Frankfurt fusionierten und jetzt unter dem Dach des Männervereins spielen.

Franzi: Mir bereitet es totale Magenschmerzen. Ich befürchte, dass die Frauen sich in die Abhängigkeit der großen Männervereine begeben und am Ende wird wie bei Holstein Kiel einfach eine Frauenabteilung geschlossen. Einfach, weil sie es können. Ich habe auch Angst, dass so die Geschichte von Traditionsvereinen wie Turbine Potsdam oder dem 1. FFC Frankfurt verloren geht. Auch wenn ich glaube, dass die Aufmerksamkeit und professionelle Unterstützung cool ist.

Ellen: Es bringt halt auch nichts, wenn die Männer-Clubs es nicht wollen. Dann leben die das auch nicht. Ich nenne das die Ein-Club-Mentalität: es müssen alle sichtbar sein. Teilweise wissen die Fans des Männer-Teams gar nicht, dass es ein Frauenteam gibt. Sie haben noch nie etwas davon gehört.

Sascha: Ich sehe das auch eher kritisch und ich bin mir auch nicht sicher, ob das der richtige Weg ist. Ich glaube zwar, dass die Qualität besser wird, wenn sich die finanzstarken Vereine wie Wolfsburg sich engagieren. Aber ob das gut für den Frauenfußball insgesamt ist, auch um eine Fanszene aufzubauen, bin ich mir nicht wirklich sicher.

Welche Rolle spielen dabei die Medien?

Ellen: Es fängt ja schon damit an, dass weder die Spielstände regelmäßig erscheinen, noch dass es richtige Spielberichte gibt. Wenn über Frauenfußball berichtet wird, dann meistens über die Missstände. Über alles wird berichtet, aber nicht über das Sportliche.

Sascha: Ich glaube, das beste Beispiel dafür ist die Kicker-App. Ich verfolge tatsächlich nicht so wahnsinnig viele Ligen, aber ich weiß zum Beispiel fast immer, wie Liverpool gespielt hat. Wenn ich die App öffne, habe ich noch nie Frauenfußball ganz oben gesehen. Man muss bestimmt zwölf Screens runterscrollen, dann findet man irgendwann die Liveticker der Frauen-Bundesliga. Aber auch nur zu drei von acht Spielen.

Ellen: Und die Aufstellung ist völlig falsch. Dann steht plötzlich eine Stürmerin im Tor.

Sascha: Wenn man sich nicht sowieso für Frauenfußball interessiert, wird man einfach nie damit konfrontiert. Man erfährt nicht, dass es das gibt, man erfährt nicht, wie es bei den Spielen steht.

Franzi: Das ist übrigens auch eine Sache, die mir total hängengeblieben ist. Freddy Wenner (damalige Torhüterin beim TuS Binzen, Anm. d. Red.) kassierte nach unserer Recherche damals das erste Tor der Bundesliga-Geschichte und erzählte in der zweiten Podcast-Folge, dass es ganz oft um alles Mögliche rund um ihre Fußballkarriere ging, jedoch nie um den Sport. Freddy hat also zum ersten Mal in dieser Folge ausführlich über den Sport Fußball reden dürfen als Person, die früher im Frauenfußball gespielt hat. Und das ist, glaube ich, sehr bezeichnend.

Zuletzt wurde „50 Jahre Frauenfußball“ in den Medien aufgegriffen.

Ellen: Ich finde, dieses ganze „50 Jahre“ falsch. Frauenfußball fand ja immer statt, nur eben nicht auf den Plätzen des DFB. Ich find es trotzdem gut, dass darüber berichtet wird. Besser, es wird erzählt, als dass es gar nicht erzählt wird.

Sascha: Ich verstehe ehrlich überhaupt nicht, warum das ein Grund zum Feiern ist. Damals hat man die Hälfte der Deutschen diskriminiert, indem man die Frauen systematisch ausschloss. Sowas feiere ich doch nicht. Der DFB steht für mich ganz klar auf der falschen Seite dieses Jubiläums.

Wie meint ihr das?

Franzi: Dass sich der DFB jetzt als toller Verband präsentiert, der den Frauen erlaubte, auch Teil dieser Fußballwelt zu sein und diese dankbar sein sollten. Die Recherchen zum Podcast haben mir genau diese Denkweise von DFB-Funktionären vermittelt: Sie sahen diese Entwicklung als ihren eigenen Triumph und nicht als gewonnen Kampf der Frauen, die sich jahrelang dafür stark gemacht haben.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft des Frauenfußballs?

Sascha: Ich würde mir wünschen, dass es auch hier mehr Organisationen gibt, die außerhalb des DFB operieren und versuchen, etwas für Frauenfußball zu verändern. So wie es in England schon gelungen ist.

Ellen: Mehrere zusammen werden schließlich besser gehört als einer alleine. Daher sollten wir uns zusammentun, um etwas zu bewegen.


Zu den Personen hinter „Legende Verloren“:

  • Franziska Blendin ist Mechanikerin mit einem Faible für Fußballgeschichte und Bier. Außerdem ist sie Autorin der „FSV Frankfurt Fußballfibel“.
  • Sascha Düerkop ist Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler, bis März 2020 war er Generalsekretär der Confederation of Independent Football Associations (CONIFA).
  • Ellen Hanisch ist Mitglied des Podcasts „FRÜF – Frauen reden über Fußball“ und hat ihre Masterarbeit über die Professionalisierung des deutschen Frauenfußballs geschrieben.
  • Shary Reeves ist Ex-Bundesligaspielerin, TV-Moderatorin, Sängerin, Schauspielerin und Autorin.

Zu hören ist „Legende Verloren“ auf deren Homepage, aber auch überall, wo es Podcasts gibt.

Katarina Schubert

Katarina Schubert

Erschienen in 50 Jahre Frauenfußball, Fußball am 11. November 2020

Artikel zum Thema

Weitere Artikel