UCI eSports WM: Tanja Erath über Taktik, Gleichberechtigung und gute Fantasie

ExklusivTanja Erath war 2017 Siegerin der Zwift Academy und erhielt anschließend einen Profivertrag beim deutschen Team Canyon SRAM. Sie geht als deutsche Favoritin an den Start bei der UCI eSports WM. Wir haben mit der 31-Jährigen über ihre Vorbereitung und Besonderheiten der virtuellen Rennen gesprochen.

50 Kilometer und knapp 500 Höhenmeter geht’s am 8. und 9. Dezember bei der UCI eSports WM durch die Zwift-Landschaft Watopia. Fünf deutsche Radsportlerinnen, darunter Tanja Erath, werden bei dem virtuellen Rennen am Start sein. Die 31-Jährige vom Canyon SRAM Racing Team fährt dabei als eine der Favoritinnen mit. Doch ihre Vorbereitung war durch einen schlimmen Sturz bei der Tour de l’Ardeche Anfang September beeinträchtigt. Kurz vor dem Ziel wich die Radsportlerin einer anderen Fahrerin aus, überschlug sich und landete unter einem parkenden Auto. Ein Kreuzbandriss, ein Schienbeinbruch und zahlreiche weitere Verletzungen waren die Folge. Doch Tanja Erath sitzt längst wieder im Sattel – und ist froh, dass die WM stattfindet.

Von wo aus wirst du an der WM teilnehmen?

„Ich wohne aktuell die meiste Zeit bei meinem Freund und habe den Luxus, dass er dort ein Fahrradzimmer hat. Eigentlich war das gedacht, um die Räder dort zu warten und zu reparieren. Aber jetzt ist es eben auch ein Trainings- und Rennzimmer.“

Und dort verbringst du viel Zeit?

„Aktuell ist das mein Hauptaufenthaltsort. Durch meine Verletzung bin ich erst vor einigen Wochen wieder ins Training eingestiegen bin und fühle ich mich auf der Straße noch etwas unsicher – vor allem jetzt wegen all der nassen Blätter. Da trainiere ich lieber auf der Rolle, aber schon trotzdem auch ab und zu auf der Straße.“

Was ist der Unterschied zwischen dem Training auf der Straße und der Rolle?

„Gegner der virtuellen Rennen sagen, dass das Bikehandling dabei nicht geübt werden kann. Befürworter nennen als Vorteil, dass keine Ampeln oder andere Einflüsse das Training stören. Es stimmt beides. Für mich zählt aber klar der Vorteil: Das Training läuft sehr kontrolliert ab, fast unter Laborbedingungen. Für mich als Perfektionistin ist das super, da ich so meinen Trainingsplan immer gut durchziehen kann. Einen zusätzlichen Reiz bringt die Temperatur. Selbst wenn ich mit Ventilator fahre, schwitze ich natürlich mehr und verliere mehr Wasser. Das beansprucht den Körper und trainiert ihn gleichzeitig.“

Worauf wird es beim WM-Rennen besonders ankommen?

„Die Strecke ist rund 50 Kilometer lang und damit länger als die meisten Zwift-Strecken. Trotzdem ist man im Vergleich zur Straße deutlich kürzer unterwegs. Daher fahren wir in einem ganz anderen Energiebereich. Wer die Strecke gut kennt, weiß, wann die richtige Zeit ist, um zu taktieren oder richtig Gas zu geben. Die Kraft muss man sich dabei gut einteilen. Am Ende spürt man jedes Watt.“

Fällt es nicht schwer, sich voll zu pushen, wenn man allein zuhause fährt?

„Das Problem hatte ich nie. Man sieht ja die Avatare der anderen und da will ich natürlich dranbleiben oder überholen. Wenn man sich darauf einlässt, fühlt sich das an wie ein normales Rennen. Vielleicht habe ich aber auch einfach nur eine gute Fantasie (lacht).“

Tanja Erath2.png Tanja Erath trainiert für die WM viel auf der Rolle. Foto: privat

Und was ist mit Schummeln?

„Wir haben alle eine geeichte Rolle zugeschickt bekommen. An der kann nichts verstellt werden. Maximal 24 Stunden vorher müssen wir ein Video einschicken, auf dem wir uns nach bestimmten Kriterien wiegen. Klar gibt es immer Leute, die einen Weg finden, zu betrügen. Aber es wird einem schwer gemacht und ich hoffe einfach, dass ich meiner Konkurrenz vertrauen kann.“

Die virtuellen Rennen klingen nach einem guten Konzept, vor allem in Zeiten von Corona.

„Klar, in Hinblick auf die Corona-Pandemie haben wir großes Glück, dass wir unseren Sport dadurch weiter ausüben dürfen. Aber die Rennen bringen noch viel mehr Vorteile mit sich. Zum Beispiel bei der Gleichberechtigung. Von Anfang an hat es bei den Zwift-Rennen gleiche Strecken und das gleiche Preisgeld für Männer und Frauen gegeben. Da können sich andere Rennformate eine Scheibe abschneiden. Aber da stehen jetzt wir als Sportlerinnen in der Verantwortung, dieses Angebot auch anzunehmen.“

Von Anfang an hat es bei den Zwift-Rennen gleiche Strecken und das gleiche Preisgeld für Männer und Frauen gegeben. Da können sich andere Rennformate eine Scheibe abschneiden.

Was meinst du damit?

„Wenn wir weiterhin zu den traditionsreichen Rennen gehen, eben einfach, weil sie Tradition haben, dann wird sich nie etwas daran ändern, dass Frauen weniger Preisgeld bekommen als Männer. Daher sollten wir eben diese Rennen fahren, wo Gleichberechtigung vorhanden ist und so auch andere Anbieter zu einem Umdenken bewegen.“

Wann bist du dein erstes virtuelles Rennen gefahren?

„Ein wirkliches Rennen vor gut zwei Jahren. Am Anfang habe ich rund 30 Rennen gebraucht, um zu verstehen, wie ich hier fahren muss. Ganz zu Beginn bin ich einfach losgefahren und habe geballert. Mit Taktik hatte das nichts zu tun.“

Apropos Taktik: Wie gehst du an die WM ran?

„Ich liebäugle natürlich mit einem Platz auf dem Podium. Das kommt aber stark darauf an, wie sich mein Knie äußert und hob ich das Maximale aus mir herausholen kann. Bisher sind viele E-Rennen sehr gut für mich gelaufen, daran will ich anknüpfen.“

Danke für das Interview und viel Erfolg!

Erschienen in Radsport am 03. Dezember 2020

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