Turnen

Nach Athletin A: Turnerbund erstellt Konzept gegen sexualisierte Gewalt

Mobbing- und Missbrauchsvorwürfe in Großbritannien sowie der Netflix-Film "Athletin A" beschleundigen das Präventionskonzept gegen sexualisierte Gewalt der Deutschen Turner-Bundes. Auch Athletensprecherin Kim Bui befürwortet das Konzept.

Die Aktualität des Themas wird mit den jüngsten Mobbing- und Missbrauchsvorwürfen im Turnen in Großbritannien sowie der erschütternden Darstellung des Missbrauchsskandals im US-Turnen durch den Netflix-Film „Athletin A" noch einmal verdeutlicht. Der DTB und seine Jugendorganisation, die Deutsche Turnerjugend (DTJ), möchten mit einem Konzept betroffene Sportler*innen ermutigen, mit ihren Erfahrungen Hilfe zu suchen und sich an die entsprechenden Stellen zu wenden. DTB-Athletensprecherin Kim Bui erklärt: „Wir Turnerinnen und Turner sind sehr erschüttert über die bekannt gewordenen Missbrauchs-Fälle. Umso wichtiger ist es, dass die richtigen Vorkehrungen zum Schutze von Sportlerinnen und Sportlern getroffen werden und dadurch Abhängigkeitsverhältnisse als auch Machtmissbrauch in jeglicher Form unterbunden werden. Wir begrüßen daher das Präventionskonzept des DTB sehr“.

Zweifelhafte Methoden in Großbritannien

Zum Hungern gezwungen: Die britische Turnerin Catherine Lyons erhebt schwere Vorwürfe gegen die Methoden beim Britischen Turnverband. Medienberichten zufolge wurde Lyons aufgrund dieser Erfahrungen eineinhalb Jahre lang wegen posttraumatischer Störung behandelt. Auch andere Turnerinnen erheben schwere Vorwürfe gegen die Trainingsmethoden.

Ausgelöst wurden die Veröffentlichungen zahlreicher Turnerinnen durch den Film "Athletin A", einer Netflix-Produktion, die den Missbrauchsskandal um den Arzt Larry Nassar im US-Turnen thematisiert.Anders als in den USA sind in Großbritannien bislang jedoch keine Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs erhoben worden.

Schockierender Dokumentarfilm über Missbrauch in den USA

Im Dokumentarfilm "Athletin A" geht es um Maggie Nichols, eine Turnerin in den USA. Sie war die erste Athletin, die den Missbrauch durch Nassar anzeigte. Zwar blieben damals Konsequenzen aus, doch mittlerweile haben sich mehr als 250 Frauen gemeldet und schwere Vorwürfe erhoben. Die fast zweistündige Dokumentation thematisiert die über Jahrzehnte gesammelten Anschuldigungen gegen den 1986 eingestellten Nassar bei USA Gymnastics. Reporter*innen deckten mit ihren Recherchen den Missbrauch und die Vertuschungen auf, mehrere hundert Opfer klagten Nassar öffentlich an, unter ihnen auch die mit 25 WM-Medaillen ausgezeichnete und vierfache Gold-Olympionikin Simone Biles. 2016 wurde der Arzt vom FBI festgenommen und wegen Besitzes von Kinderpornografie verurteilt. 2018 folgte dann der Missbrauchsprozess, bei dem über 150 Mädchen und Frauen gegen ihn aussagten. Seine Mindesthaftzeit beträgt 100 Jahre, Nassar wird das Gefängnis also nicht mehr lebendig verlassen.

Deutscher Turnerbund will sensibilisieren

Das klare Ziel von DTB und DTJ sowie den Landesturnverbänden ist die Schaffung einer Kultur des Hinsehens und des Handels in der gesamten Turnfamilie. Denn nur so kann eine Sensibilisierung für Gefahren erreicht werden. Der DTB sieht sich dem Schutz von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in besonderem Maße verpflichtet. Der Schwerpunkt liegt auf präventiven Maßnahmen, die Intervention bei akuten Fällen wird mit maßgeblicher Unterstützung der zuständigen Stellen (zumeist Landessportbünde oder auch Beratungsstellen) durchgeführt. Der DTB arbeitet bereits seit längerem kontinuierlich an der Ausarbeitung des Präventionskonzeptes, mitsamt den entsprechenden Maßnahmen. Früher als geplant und vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) gefordert, geht es nun umfänglich in die Umsetzung.

„Die neuesten bekannt gewordenen Vorfälle zeigen uns einmal mehr, wie wachsam wir sein müssen und wie wichtig die richtige Handlungsweise bei jeglicher Form von Gewalt im Sport ist. Aus diesem Grund gehen wir bereits jetzt mit unserem Konzept an die Öffentlichkeit und möchten die Betroffenen ermutigen, sich an die entsprechenden Stellen zu wenden. Das Konzept soll nicht nur Hilfe ermöglichen, sondern soll auch Hilfestellung und Orientierung für unsere Vereine im Kampf gegen sexualisierte Gewalt geben“, sagt DTB-Präsident Dr. Alfons Hölzl.

Das Präventionskonzept des DTB basiert auf dem Stufenmodell der Deutschen Sportjugend (DSJ) und der Eigenerklärung des BMI. Der DTB hat es zusammen mit einer Selbstverpflichtungserklärung bereits an seine Landesturnverbände versendet, um zu gewährleisten, dass die Maßnahmen des Konzeptes durchgängig umgesetzt werden.

Verfasst von Sportfrauen/DTB

Erschienen in Turnen am 11. Juli 2020

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