Radsport

Gehörlos im Spitzensport: Bianca Metz über ihr Leben im Radsport

ExklusivSie trägt ein Hörgerät und ersetzt akustische durch visuelle Signale: Bianca Metz ist Radsportlerin. In unserem zweiteiligen Interview erzählt sie von ihrem Leben mit Behinderung im Spitzensport.

Bianca Metz hat sich den Radhelm über den Lockenkopf gestülpt, schwingt sich aufs Rennrad und tritt in die Pedale. Sie fährt seit vielen Jahren Radrennen für das Nationalteam und ihren Heimatverein RSV Seerose. Einige Medaillen und Podestplätze hat sie so schon erreicht. Dass Bianca von Geburt an nicht hören kann, fällt vielen gar nicht auf. Sie hat gelernt, mit der Behinderung im Spitzensport umzugehen und ihr Handicap auszugleichen. In Teil 1 unseres Interviews mit ihr erzählt sie, wie sie überhaupt zum Radfahren gekommen ist, wo die besonderen Schwierigkeiten für sie liegen und was ihr bislang größter Erfolg war.

In Teil 2 des Interviews wird sie erzählen, wie ihre Behinderung von anderen aufgenommen wird und wie es um Inklusion im deutschen Radsport steht.

Bianca, woher kommt deine Liebe zum Radfahren?

„Als Kind habe ich das Radfahren schon immer sehr gemocht – ich kannte die üblichen Kinder- und Jugendfahrräder, bis ich dann im Alter von ca. zwölf Jahren erstmals ein etwas sportlicheres Modell besaß. Bei einer Radreise mit meinen Eltern in den Niederlande habe ich viele Rennradfahrende gesehen – manche klassisch mit Stahlrahmen, andere mit für mich damals recht futuristisch anmutenden, technisch hoch innovativen „Maschinen“. Das Ganze hat mich sehr fasziniert und auch längere Zeit nach dieser Radreise nicht mehr so wirklich losgelassen.“

Und dann hast du dir selbst ein solches Rad besorgt?

„Zu Hause hatte ich Zeitungen ausgetragen und mir etwas Taschengeld angespart, sodass ich mir dann schließlich mit zusätzlicher Unterstützung aus der Familie mit 14 Jahren mein erstes eigenes Rennrad kaufen konnte: Ein metallic-blauer Alurenner mit einer Veloce-Schaltgruppe von Campagnolo. Schön anzusehen, leicht und wendig. Das war mein ganzer Stolz und ich konnte jetzt erst recht nicht mehr genug vom Radfahren bekommen. Bald trat ich in einen Verein ein und nahm – nach anfänglichem Zögern – an einer Einsteiger-Rennserie teil, bis ich schließlich im Jahr darauf meine erste Lizenz beim BDR löste.“

Der Start in deine Karriere.

„Genau. Dort startete ich zunehmend auch überregional bei Wettkämpfen, oft mehrere Wochenenden hintereinander. Bis zum Abitur mit 18 Jahren hatte ich es in den Badischen Landeskader und das Nationalteam der Gehörlosen geschafft.“

Du bist von Geburt an gehörlos. Ist dadurch auch dein Gleichgewicht beeinträchtigt? Das braucht man ja beim Radfahren auch …

„Ja, das Gleichgewicht kann durch eine Hörbehinderung, Gehörlosigkeit oder Schwerhörigkeit tatsächlich beeinträchtigt werden. Bei mir ist davon glücklicherweise nichts zu bemerken, aber ich kenne durchaus Radfahrende aus der Gehörlosen-Szene, die hier Probleme haben. Das kann dann natürlich unter Umständen schwierig werden, aber da gibt es ja auch Möglichkeiten: Man kann beispielsweise ein Rad mit Motor nutzen, der beim Anfahren hilft, oder ein Rad mit drei Rädern.“

Inwiefern beeinträchtigt dich die Behinderung beim Sport?

„Durch meine Behinderung kann ich so gut wie nichts hören, sodass ich im Alltag auf Hörgeräte angewiesen bin. Die sind technisch mittlerweile auch nicht mehr so anfällig wie noch vor zehn Jahren, sodass ihnen gerade der Schweiß beim Radeln nicht viel anhaben kann. Auch mit dem Helm gibt es nicht wirklich Probleme, außer, wenn der komplett über dem Ohr geschlossen ist wie z.B. bei manchen Aero-Helmen. Dann fangen die Hörgeräte an, unangenehm zu pfeifen – das passiert, wenn keine oder zu wenig Luft drankommt. Den Fahrtwind höre ich sehr laut, sodass andere Geräusche nahezu unterdrückt werden.“

Ist das nicht gefährlich?

„In einigen Situationen schon. Vor allem das Heraushören von Autos ist ja beim Radeln aus Sicherheitsgründen sehr wichtig und für uns Schwerhörige mit Hörgeräten bei dieser Geräuschkulisse schwierig. Daher ist man dann als schwerhöriger Mensch, so wie im Alltag auch, darauf angewiesen, sehr viel mit den Augen wahrzunehmen. Deshalb achte ich beim Radeln, egal ob beim Training oder im Wettkampf, immer sehr genau auf meine Umgebung und gehe kein Risiko ein.“

Im Wettkampf sicher nicht immer einfach …

„Im Wettkampf ist es natürlich so eine Sache, wenn man die Glocken für die letzte Runde oder irgendwelche Rufe nicht hört. Manche, die mit mir oft auf Rennen waren, wussten das, aber die meisten nicht. Ich habe das für mich so gelöst, dass ich eine Person mitgebracht habe, zum Beispiel meine Eltern oder Freunde, Trainer oder notfalls auch mal zufällige Menschen, die mir vom Streckenrand aus Zeichen gegeben haben. Anfangs war ich ja nur bei BDR-Rennen aktiv, bin aber relativ schnell zur Gehörlosen-Szene gekommen. Dort laufen die Rennen auch nicht viel anders ab, außer dass akustische Signale durch visuelle ersetzt werden.“

Erklär das mal bitte genauer!

„Ein Beispiel: Es gibt keinen Startschuss und keine Glocke für die letzte Runde, sondern Fahnen. Die Runden werden – das ist ja in den meisten BDR-Rennen auch ohnehin üblich – per Tafel angezeigt. Bei den Gehörlosen wird meines Erachtens jedoch genauer darauf geachtet, dass auch jeder diese Tafel sieht und sich notfalls nochmal mit Zeichen rückversichern kann. Dazu muss man aber auch sagen, dass die Wettkämpfe bei den Gehörlosen doch in einem kleineren Rahmen und in deutlich geringerer Anzahl stattfinden. Wir haben etwa zwei bis drei Wettkämpfe im Jahr inklusive Meisterschaften bei rund 20 bis 30 Teilnehmenden ausgetragen werden.

Du hast schon zahlreiche Meisterschaften gewonnen, auch international. Was würdest du sagen ist deine größte Stärke?

„Richtig, das kann sich inzwischen doch sehen lassen. Ich denke, dass ich im Zeitfahren ganz gut bin und die Fähigkeit habe, meine Kraft gleichmäßig einzuteilen. Das brauche ich auch im Alltag als Mensch mit Hörbehinderung, die viel mentale Aufmerksamkeit einfordert. Das Bergfahren hat mir am Anfang überhaupt nicht gefallen und ich hatte wenig Ausdauer beim Sprinten. Mit gezieltem Training hat sich das aber gebessert und ich bin im Wettkampf mit der Zeit auch nicht mehr ständig aus der Gruppe gefallen – wenn nicht am Berg, dann eben irgendwann bei einer Attacke, oder noch besser: Beim Finalsprint. Das ist dann natürlich sehr frustrierend. Zum Glück kann man aber ja an solchen Dingen arbeiten.“

Was war dein persönlich größter Erfolg?

"Definitiv die beiden Goldmedaillen bei der Europameisterschaft der Gehörlosen 2016 im Sprint und Einzelzeitfahren. Dort konnte ich auch Silber im Punkterennen gewinnen – ein Jahr zuvor war mir mein persönlich größter Erfolg beim BDR gelungen: Platz 4 im Bundesligarennen und Platz 1 in der Teamwertung der Bundesliga mit dem Badischen Landeskader. Mit den BDR-Rennen ist es bei mir jetzt doch etwas ruhiger geworden – dafür bin ich aber weiterhin bei den Gehörlosen vorne mit dabei und habe insbesondere den deutschen Meistertitel im Zeitfahren seit 2014 jedes Mal erfolgreich verteidigen können.“

Danke, Bianca! Wir freuen uns schon auf Teil 2 des Interviews.

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Erschienen in Radsport am 27. Juni 2020

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