Fußball

,Es kommt auf die Leistung an, das Geschlecht spielt keine Rolle'

Svenja Maczeyzik und Saskia Blunck sind Schiedsrichterinnen im Handball. Im Interview sprechen sie über ihre Erfahrungen – unter anderem als Frauen – im Spitzenhandball.

Svenja Maczeyzik und Saskia Blunck pfeifen im Bundesligakader des Deutschen Handballbundes. Der Druck ist dadurch gestiegen, aber das spornt die beiden Unparteiischen an. Im Interview sprechen die Schiedsrichterinnen über ihre Erfahrungen als weibliches Gespann bei Partien im Männer-Handball, ihre Vorbildrolle für junge Nachwuchsschiedsrichterinnen und darüber, wie sie als Gespann zusammengefunden haben.

Svenja, Saskia, ihr seid zu dieser Saison aus dem Nachwuchs- in den Bundesligakader aufgestiegen. Was ist der größte Unterschied?

Saskia Blunck: Das stimmt, wir gehören seit dieser Saison dem „ganz normalen“ Bundesligakader an. Das heißt, wir müssen uns mit mehr Gespannen messen - das ist ein höherer Druck, aber natürlich auch eine spannende Herausforderung für uns. Zudem stehen jetzt andere Spiele im Fokus: Wir pfeifen mehr Spiele in der 1. und 2. Bundesliga der Frauen und weniger Jugendbundesliga. Außerdem kommen wir verstärkt in der 3. Liga Männer zum Einsatz, um nach und nach in der 2. Bundesliga der Männer anzukommen.

Habt ihr das Gefühl, dass es für die Mannschaften eine Rolle spielt, ob ein weibliches oder männliches Gespann angesetzt ist?

Svenja Maczeyzik: Es ist aktuell einfach noch seltener, dass Frauen als Schiedsrichter auf die Platte kommen. Ich glaube, grundsätzlich ist es den Vereinen allerdings egal. Das Geschlecht ist für die Mannschaften irrelevant, solange man seine Leistung erbringt. Das ist die Hauptsache.

Inwiefern unterscheiden sich die Spiele bei den Männern und Frauen für euch als Schiedsrichterinnen?

Svenja Maczeyzik: Die Kommunikation zwischen den Schiedsrichtern und den Spielern bzw. Spielerinnen ist sicherlich ein großer Aspekt. Unserer Erfahrung nach fordern Männer im Gegensatz zu Frauen im Spiel öfter eine sehr viel direktere Ansprache. Außerdem unterscheiden sich die Spiele auch in der Spieldynamik, der taktischen Ausrichtung sowie in der Spielhärte.

Saskia Blunck: Wir kennen in den Frauen-Bundesligen bereits mehr Mannschaften und die Vereine kennen uns. Dadurch ist es oftmals routinierter, als wenn man das erste Mal in eine unbekannte Halle mit unbekannten Mannschaften kommt.

Was bedeutet das konkret?

Svenja Maczeyzik: Wir müssen die Mannschaften, die Spieler und die Spielsysteme kennenlernen. Wenn wir eine Frauen-Bundesligamannschaft schon öfter gepfiffen haben, können wir bei unserer Vorbereitung auf ein gewisses Vorwissen aufbauen. Bei den Männern müssen wir uns dieses Vorwissen noch von Grund auf erarbeiten.

Sprich: Ihr müsst euch erst noch etablieren - wie jeder Aufsteiger in einer höheren Liga?

Saskia Blunck: Genau. Wer neu in eine Liga kommt, muss sich sein Standing dort erst einmal erarbeiten - egal, ob Mannschaft oder Schiedsrichter-Gespann.

Habt ihr das Gefühl, dass ihr euch stärker beweisen müsst als ein Männer-Gespann, das zeitgleich aufsteigt? Oder wird seitens der Vereine stärker hinterfragt, ob ihr das Niveau wirklich pfeifen könnt, weil ihr ein Frauen-Gespann seid?

Svenja Maczeyzik: Ich denke, der Knackpunkt ist folgender: Man muss einfach mehr Schiedsrichterinnen auf der Platte sehen, damit das normal wird und der Gedanke „Oh, das sind Frauen“ gar nicht mehr aufkommt. Wir werden diese Sprüche also vielleicht noch hören, aber das Frauen-Gespann in fünf oder zehn Jahren bestenfalls nicht mehr. Und auch Männer hören ja Sprüche - nur halt andere.

Bei einem Zweitligaspiel in Hamburg im vergangenen Jahr pöbelte ein Zuschauer in Richtung der Schiedsrichterinnen, sie sollten doch lieber zu Hause am Herd bleiben und kochen…

Svenja Maczeyzik:Uns wurde mal gesagt, wir sollen doch lieber stricken lernen als zu pfeifen (lacht). So ein Satz würde niemand zu einem Männer-Gespann sagen.

Saskia Blunck: Meine Familie sagt immer, ich soll lieber pfeifen gehen anstatt zu kochen (lacht). So gehen die Meinungen auseinander. Nein, ich gebe Svenja recht: Ich kann mir vorstellen, dass die Akzeptanz deshalb noch fehlt, weil es noch immer selten ist, dass in der 2. Bundesliga der Männer ein Frauen-Gespann zum Einsatz kommt. Je mehr Frauen-Gespanne es gibt, desto normaler wird das.

Svenja Maczeyzik: Wir müssen jedoch unbedingt bei den Leistungskriterien bleiben - alles andere wäre ein Trugschluss. Es bringt nichts, so schnell wie möglich so viele Frauen-Gespanne wie möglich hochzuziehen, wenn diese dann das Leistungsniveau nicht halten können.

Eine Quote - beispielsweise die Vorgabe, dass ein Drittel des Kaders weiblich sein muss - lehnt ihr also ab?

Saskia Blunck: Ja, definitiv! Denn das würde bedeuten, dass man aus allen Kadern Frauen-Gespanne hochziehen müsste. Eine Frauenquote in den oberen Kadern ist daher aus meiner Sicht nicht förderlich. Meiner Meinung nach sind weniger Frauen-Gespanne sinnvoller, wenn dafür die Leistung stimmt.

Svenja Maczeyzik: Es darf auf keinen Fall ‚Masse statt Klasse‘ heißen. Wenn jemand nicht bereit ist, in der höheren Liga zu pfeifen, kann man nicht einfach eine Quote darüberstülpen, um das Problem zu lösen. Das funktioniert nicht und macht niemandem Spaß.

Geht es euch auf die Nerven, wenn ihr als Frauen-Gespann bezeichnet werden? Denn bei Männern erwähnt niemand extra, dass es sich um ein Männer-Gespann handelt…

Svenja Maczeyzik: Bei Männerspielen in der 3. Liga gibt es immer mal besondere Ansagen der Hallensprecher oder wir hören Kommentare wie: „Ein Frauen-Gespann? Das ist ja krass.“ Ich finde es allerdings schon cool, wenn es in den Hallen mal nicht Schiedsrichter, sondern Schiedsrichterinnen heißt (lacht).

Saskia Blunck: Nerven tut es uns sicherlich nicht. Die Mannschaften sind genauso dankbar, wenn wir als Frauen-Gespann eine gute Leistung bringen wie wenn ein Männer-Gespann eine gute Leistung bringt. Svenja hat es vorhin schon gesagt: Es kommt auf die Leistung an, das Geschlecht spielt keine Rolle. Umso höher man kommt, desto reflektierter wird das betrachtet. Ich denke, dass es Schiedsrichterinnen in den unteren Ligen auf Bezirks- und Kreisebene manchmal deutlich schwerer haben als wir.

In den vergangenen Jahren ist die Anzahl der weiblichen Gespanne in den Kadern des Deutschen Handballbunde stetig gewachsen; dennoch machen noch deutlich weniger Frauen als Männer den Schiedsrichterschein. Wenn ihr auf eure eigenen Anfänge zurückblickt: Was war für euch der Grund, warum ihr angefangen habt zu pfeifen?

Svenja Maczeyzik: Ich wollte einfach meinen Verein unterstützen und habe daher mit einer Freundin gemeinsam den Schein gemacht. Da ich relativ früh gefördert wurde und in die Oberliga gekommen bin, bin ich immer am Ball geblieben. Ich habe mich reingehängt und mich von der Persönlichkeit sehr entwickelt, sodass ich mich auch schnell verbessern konnte.

Saskia Blunck: Wir hatten beide vorher erst eine andere Partnerin - dass wir zusammen gefunden haben, war Zufall, aber es hat funktioniert. Wir hatten die gleichen Ziele und es hat Spaß gemacht, sodass wir uns immer motivieren konnten. Es ist zudem wichtig, dass man im Landesverband Personen hat, die einen unterstützen und fördern, sonst ist der Blick nach oben schwierig. Und wir hatten immer Vorbilder, die uns angespornt haben. Wir wollten dorthin kommen, wo sie bereits pfeifen.

Seht ihr euch selbst als Vorbilder für junge Gespanne?

Svenja Maczeyzik: Wenn jemand zu mir kommt und etwas fragt, antworte ich natürlich und wir unterstützen auch sehr gerne junge Gespanne - egal, ob männlich oder weiblich. Ansonsten spielt das für mich im Kopf keine große Rolle.

Saskia Blunck: Wir machen auch Lehrarbeit für unseren eigenen Kreis. Gerade, wenn Mädchen bei den Lehrgängen sitzen, fällt mir manchmal auf, wie cool sie es finden, was wir machen und wie hoch wir gekommen sind. Da wird uns dann selbst bewusst, dass es die letzten Jahre wirklich ganz gut für uns lief (lacht). Ansonsten habe ich das Thema Vorbild aber eher selten im Kopf.

Abschließend: Warum würdet ihr - basierend auf euren eigenen Erfahrungen - gerade Mädchen ans Herz legen, sich für die Schiedsrichterei zu entscheiden?

Svenja Maczeyzik: Selbstbewusstsein und die Fähigkeit zur Selbstreflexion: Das sind zwei Eigenschaften, die ich durch das Pfeifen erlernt habe und die aus meiner Sicht ganz oben stehen. Ich glaube, dass man diesbezüglich vor allem als Frau sehr viel vom Pfeifen mitnehmen kann. Ich war selbst eine kleine, schüchterne Person und das Pfeifen hat mich extrem weitergebracht - sowohl im privaten wie auch im beruflichen Leben.

Saskia Blunck: Das sehe ich genauso wie Svenja. Zudem ist es einfach immer wieder toll, Teil des Handballsports zu sein, viel zu lernen und eine Menge Spaß zu haben - da ist es ganz egal, ob Mädchen oder Junge.

Verfasst von Julia Nikoleit

Erschienen in Handball am 23. Dezember 2020

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